Alte Bordeaux 1945-1961

Alte Bordeaux 1945-1961

Anfang März war es mal wieder soweit. In kleiner Runde traffen wir uns in Oberhausen um gereifte Bordeaux-Weine zu verkosten. Norbert hatte mal wieder keine Mühen gescheut um ein verheißungsvolles Line-up zusammenzustellen. Hier meine Notizen von diesem Abend:

Wie immer ging es zum Eintrinken mit einem Wein außerhalb des offziellen Line-up los. Diesesmal gab es einen Syrah aus Portugal.


0 Hans Kristian Jorgensen Incognito Cortes de Cima (Syrah), 1998

Kühle Nase nach jungen Kirschen, etwas verwaschene Gewürze und Staub, dahinter ein Touch kompottige rotbeerige Früchte. Im Mund ein wenig von einem überraschen schlanken und straffen Körper. Sehr saftiger Antrunk mit markanter Säure, sehr gute Struktur. Konsequenter, kompromissloser Stil, der es im weiteren Verlauf etwas an Harmonie und Trinkfreue vermissen lässt. Wirkt etwas sauer im knapp mittellangen Abgang. Gute Ansätze, trotzdem nicht ganz überzeugend.
83 Punkte von mir, die Runde vergibt immerhin 85-87 Punkte



1 Chateau Rauzan-Gassies Saint Estephe, 1961

Typische Nase eines BDX, der seine besten Zeiten bereits lange hinter sich hat. Zunächst deutliche Fruchtnoten, die aber leider binnen einer Minute fast gänzlich verfliegen. Immer mehr treten Aromen von Tinte, Pilze, Waldboden und einer uncharmanten alten Holzwürze in den Vordergrund. Im Mund metallische Noten, wie ich sie schon öfters in Weinen aus dem St. Estephe vorgefunden habe. Nur fehlt hier der fruchtige Gegenpart, vielleicht etwas Cassis, dafür umso mehr Säure, Altholz. Der Abgang kurz und spröde. Noch nicht ganz tot, aber ohne sonderliche Trinkfreude.
81 Punkte von mir, deutlich darüber die Runde mit 84-86 Punkte


2 Calon-Segur Saint Estephe, 1961 (zwei kleine Flaschen)
Die erste Flasche hatte Kork, die zweite war fehlerfrei, aber auch frei von jeglicher Trinkfreude. In der Nase wirkt der Wein äußerst gereift, auch hier verflüchtigt sich die Frucht binnen Sekunden. Nun dominieren Liebstöckel, Madera, Bratensoße und medizinale Töne, im Hintergrund etwas Bitterschokolade. Im Mund deutlich drüber, undefinierbare Süße, wieder viel Bratensoße und Liebstöckel, deutlich oxidiert. Der Wein hat seit langem sein Trinkfenster hinter sich gelassen.
75 Punkte von mir, auch die Runde ist wenig begeistert und vergibt 78-81 Punkte




3 Cos d´Estournel Saint Estephe, 1961
Endlich eine schöne Frucht in der Nase, die sich leider aber auch nach kurzer Zeit auszehrt. Nach ein wenig Geduld findet der Duft seine Balance und zeigt einen feinen, schlanken Kirschduft, mit Nuancen von dunklen Waldfrüchten. Hat Spiel und Raffinesse. Ausgezeichnet. Dieses Prädikat verfehlt der Wein im Mund deutlich. Hier kann er sein Alter nicht mehr verbergen. Er ist leider bereits spürbar auf einem absteigenden Ast. Metallische Noten, etwas ausgemergelte Cassis-Noten, Waldboden. Der Wein hat sich sicherlich noch eine gewisse Struktur erhalten, geht aber im weiteren Verlauf immer weiter aus dem Leim. Zeigt sich die Säure anfangs noch sehr elegant, dominiert sie den Abgang deutlich und nimmt dem Wein seine Eleganz und drängt die Frucht zu sehr zurück. Trotzdem immer noch knapp ein sehr guter Wein.
85 Punkte von mir, die Runde punktet mit 86-89

4 Chateau La Pointe Pomerol, 1964

Gewöhnungsbedürftige Nase nach Mottenkugeln. Daneben eine saubere Kirschfrucht mit einem Touch Pflaume und Cassis. Nicht schlecht, es fehlt aber ein wenig an Spiel. Im Mund gefällt mir der Wein besser. Sein saftiger, fruchtbetonter Antrunk macht spontan Freude. Eine reife Kirschfrucht mit schöner Süße begleitet den Wein über den gesamten Verlauf. Bitterschokolade und feinporige Tannine geben dem Wein einen guten Rückhalt. Geschmacksschöner deutlich mittellanger Abgang, allerdings ohne sonderliche Raffinesse.
85 Punkte von mir, erste ernsthafte Auseinandersetzungen führen zu 78-88 Punkte



5 Chateau Tropolong-Mondot Saint Emilion, 1962
Endlich eine Nase bei der man nicht Angst hat, dass sie jeden Moment in sich zusammenbrechen wird. Viel Frucht nach Cassis, dunklen Waldbeeren und Pflaumen, hat Kraft und Substanz. Dahinter Leder und eine feine Holzwürze. Auch im Mund saftig, viel schöne Pomerol-Frucht. Reife Pflaumen und dunkle Beeren begleiten über den gesamten Verlauf. Sehr gut eingebundene Säure, gut integriertes Holz. Die Tannine abgeschmolzen, aber noch mit Biss, sorgen für einen prägnanten, knapp langen Nachhall. Mal wieder ein ausgesprochen schönes Erlebnis aus dem Haus Tropolong-Mondot. Seine Weine haben nicht die ganz große Raffinesse oder Charme, wirken aber klar, frisch und animierend.
88 Punkte von mir, auch die Runde punktet harmonisch mit 89-90

6 Chateau Petrus Pomerol, 1953
Komplexe Nase nach Röstaromen vom Fassausbau, Leder, Schwarzkirschen, rohes Fleisch, etwas Asche, eine Spur Tabakkiste, wirkt gereift aber noch vollständig in Takt. Eine klasse Nase, die in einer anderen Liga spielt. Zunächst erfüllt der Wein die Erwartungen, die die Nase geweckt hat. Zunächst notiere ich mir auch hier Röstaromen vom Fass, Kirsche, Kokosraspeln und eine feine Zigarrenkiste. Danach fällt unmittelbar der schlanke Körper auf. Der Wein wirkt schon etwas angestrengt, es fehlt ihm bereits die nötige Kraft und Struktur die Ansätze an Aromen bis zum Abgang zu tragen. Trotzdem hat der Wein noch Struktur, eine feine Fruchtsüße und die Säure ist noch gut eingebunden. Gute Länge.
90 Punkte von mir, die Runde sieht ihn mit 92 Punkten noch besser

7 Chateau Latour a Pomerol Pomerol, 1959
Schnief – leider Kork















8 Chateau Cheval Blanc Saint Emilion, 1955
Wunderbare Nase nach frischer Krausminze, angenehmen medizinalen Noten, junge Waldpilze und eine grandiosen Krokantschokolade. Insgesamt sehr frisch, eindringlich und von großer Tiefe. Im Antrunk viel Tinte, adstringierend. Zunächst bin ich irritiert und enttäuscht. Mit der Zeit öffnet sich der Wein deutlich. Nun dunkle Bitterschokolade, viel Cassis und Graphit. Eigenwillig aber sehr interessant. Mit jedem Schluck lässt mich der Wein immer weiter in seine dunkle Höhle und gibt mehr von seinem Potential preis. Griffige Tanninstruktur, kräftige aber animierende Holzwürze. Im Angang gute Balance aus Frucht, Tannine, Säure und Holz. Trotzdem erreicht er im Mund nicht ganz die Klasse der Nase, daher deutlich von einem großen Wein entfernt. Aber immerhin ausgezeichnet.
92 Punkte von mir, die Runde übertreibt mit 94-95 Punkte

9 Chateau Cheval Blanc Saint Emilion, 1964
Obwohl neun Jahr jünger der eindeutig gereiftere Wein. In der Nase nicht von großer Komplexität aber mit viel Spaß. Saftige Kirschkonfit, viel Konzentration, animalische Noten, Lack. Im Mund von betörender Fruchtigkeit, viel Kirschen, saftigen Pflaumen und Wachholder. Ein Wein zu reinschütten, ohne intellektuellen Firlefanz. Die Säure tickt schon etwas hervor, samtweiche Tannine und eine leichte Holzwürze begleiten nicht knapp langen Abgang. Knapp hinter dem 55er.
91 Punkte von mir, die Runde ist uneinig bei 88-94 Punkte



10 Chateau Haut-Brion Graves, 1995
Altersnoten, Stall, rote Beete und viel Gewürze vom Faßausbau dominieren die Nase. Nicht wirklich schlecht, aber es fehlt an Balance und Frische und wo bitte ist die Frucht? Im Mund setzt sich das (Trauer-)Spiel leider fort. Ein Wein von mittlerem Körper, deutlich gezehrte Cabernetfrucht, grüne Paprika, resche Säure tickt auf, das Holz uncharmant, sehr gute Tanninstruktur, im Nachhall etwas unreife Noten. Trotzdem erkennt man, dass der Wein früher über eine große Klasse verfügt hat, doch leider sind diese Zeiten schon lange verblasst. Und darauf gibt es eben keine Punkte. Trotzdem noch knapp ein sehr guter Wein.
85 Punkte von mir, die Runde sieht den deutlich besser bei 88-92 Punkte

11 Chateau Haut-Brion Graves, 1945
Sehr schöne frische und exakte Nase. Für manche Tischgenossen ist die anfängliche Lacknote fast unerträglich. Diese verfliegt aber zusehend, ohne ganz zu verschwinden. Dahinter komplexer Kräuter- und Gewürzkorb in gelungener Hommage mit Kirschen, Holunder und eine wunderbaren Cabernetwürze, auch etwas gegerbtes Leder im Hintergrund. Klasse. Auch im Mund macht der Wein viel Freude. Extrem saftig und straff im Antrunk. Wirkt noch sehr frisch mit jungen Waldbeeren und Cassi, harmonisierendem Marzipan. Die Säure ist mir schon etwas zu vorlaut und auch die Tannine rauen den Gaumen noch etwas zu sehr auf. Ich bezweifle, dass sich das noch ganz in Wohlgefallen auflöst. Trotzdem ein Wein von erstaunlicher Frische, intakter Struktur und sehr gutem, verspielten Nachhall. Für eine ganz große Wertung fehlt es aber an Harmonie.
Wir punkten alle gleich bei 91 bis 92+ Punkte

Reparatur-Riesling
Weingut Hirtzberger Singerriedel, 2001
Bester Wein des Abends! Ein grandioser Duft nach Honig, jodiger Mineralik, Malz und rauchigen Noten, kaum Frucht. Im Mund unheimlich dicht und elegant zu gleich. Saftig, konzentrierter Antrunk, unheimlich dicht von große Tiefe und Komplexität, kompromisslos trocken ausgebaut, Honigextrakt, Mirabelle, pfeffrige Note, ungemein feingliedrige, leicht vibrierende Säure ummantelt von einem feinen Film Gerbstoffe. Sehr langer und nachdrücklicher Abgang. Aufgrund seiner kompromisslosen Art sicherlich keine Wein für alle Gelegenheiten, sondern zum Selbststudium geeignet. Aber so what, was für ein Wein!!
94 Punkte von mir, die Runde sieht es ähnlich: 94-96 Punkte

Chateau Sigalas Rabaud Sauternes, 1967
Intensive Nase nach Zündholzschachtel und vertrocknetem Harz, angetrocknete Orangen- und Aprikosenschalen. Im Mund viel Litschi, Malz, überreife Banane und herber Orangenschale. Ich habe keine Ahnung von Sauternes, aber es nicht meine Sache. Es fehlt mir an Säure und Frische. Die Kenner sind aber allesamt begeistert und schlürften die Pulle zur Schokotart binnen Minuten leer. Ich halte mich daher mit einer Bewertung zurück. Die Runde vergab euphorische 93 – 95 Punkte




Für mich war es mal wieder ein überaus lehrreicher Abend. Die feinen, schlanken Weine fordern alle Sinne ungemein. Es dominieren die leisen Töne und dann hört man eben jeden Fehlton umso deutlicher. Das diese Weine nach so vielen Jahrzehnten noch derart ihre eigene Balance wahren können, ist eine einmalige Besonderheit des Bordeaux. Dort wo andere ihre Schwächen mit Alkohol, Konzentration und Zucker überkleistern, zeigen diese Weine ihre Seele mit all ihren Verzückungen und Narben. Obwohl an dem Abend der erhoffte, ganz große Weinmoment ausblieb, bin ich motiviert mich weiter auf die Suche nach meinem ganz eigenen Geschmackserlebnis zu begeben. Und die Wachau schwebte mal wieder über allem….Mein Dank gilt Wera und Norbert, die gewohnt souverän, aber mit gleichbleibender Freude und Enthusiasmus, für einen entspannten und genussreichen Abend sorgten.

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