Bordeaux: Bon(n) voyage! (17.10.2008)

Bordeaux: Bon(n) voyage! (17.10.2008)

Die Weine aus Bordeaux sind für mich immer etwas Besonderes. Nicht weil ich zur Kategorie der “Etikettentrinker” gehöre, die bei Nennung der einschlägigen Namen in andachtsvoller Starre verharren, sondern weil es für mich in der weiten Weinwelt nur ganz, ganz wenige Regionen gibt, deren Weine Kraft, Komplexität und Eleganz so perfekt vereinen. Und dabei einen ganz hohen Wiedererkennungswert haben. Man hält die Nase ins Glas und weiß, dass man einen alten Freund wiedergetroffen hat. Geht mir zumindest immer so – und dafür braucht es auch nicht die “erste Reihe” der Weingüter. Umso vorfreudiger war ich, nachdem mich die Einladung zur einer Bordeauxprobe erreichte. Ein großes Dankeschön schon an dieser Stelle an unseren Gastgeber für einen wunderbaren Abend, besonderen Dank auch für seine generöse Entscheidung, die Weine zum Einstandspreis aufzubieten, eine Tatsache, die bei der jüngsten Entwicklung der Preise keineswegs mehr als selbstverständlich erachtet werden kann. Herr B. hat an diesem Abend wohl mehr Kapital vernichtet als manch isländische Bank im letzten Monat. Und anders als in Island waren alle glücklich und zufrieden. Kulinarisch wurden wir natürlich auch bestens versorgt. Was will man mehr?!

Sechzehn Weine standen in der Probenliste, deren Reihenfolge aber nicht bekannt war. Wir tranken also “halb-blind”, aufgedeckt wurde nach den Flights. Die Weine wurden drei bis fünf Stunden vor dem Verkosten doppelt dekantiert. Und wie das ja bekanntlich so ist: Wenn man blind trinkt, wird man teilweise massiv überrascht. Das wurden die Mittrinkenden an diesem Abend auch, allerdings – wie es das Wesen einer Überraschung ist – an höchst ungeahnter Stelle …

Aller Notizenwünsche zum Trotze: Der Genuss stand an diesem Abend im Vordergrund. Viel zu selten sind doch solche Ausflüge, als dass man sich permanent auf die Schreiberei konzentrieren könnte oder wollte. Bemüht habe ich mich trotzdem, man gewähre mir Nachsicht.


1. Chateau Beauval AC Bordeaux, 2005
Ein kleiner Wein zum Start, so war die Vorgabe – um sich heranzutrinken. Dichtes Purpurrot. In der Nase erkennbar jung, eher verhalten. Johannisbeere und rote Früchte, leichte Holzwürze. Im Mund etwas indifferent, fruchtbetont, einfach, kaum Tiefe, aber völlig sauber und sehr süffig. Leicht sandiges Tannin im kurzen Abgang, fruchtbetont. Überraschung Nr. 1 – ein Alltags-Bordeaux, der gerade einmal 4,50 Euro kostet. (80+ Punkte, jetzt bis 2010)


2. Chateau Meney Saint-Estèphe, 1995
Der zweite Wein ist von anderer, deutlich gesteigerter Qualität. Purpurrot mit leicht orangefarbenen Reflexen. Ledrige Noten und Kakao, dunkle Frucht, reife Paprika. Dicht im Antrunk, wirkt kernig, recht jung. Schon strukturiert, aber nicht richtig tief, etwas von der rustikalen Art. Angenehm. Mürbes Tannin, aber nicht mehr allzu präsent. Wirkt dennoch insgesamt noch jung, wobei besonders die Nase überzeugen kann. (85+ Punkte, ab 2010+)


3. Chateau Citran Haut Medoc, 1996
Kaffee war das prägende Leitaroma der intensiven Nase des Weines Nr. 3. Dazu etwas Stall und eine holzwürzige Kakao-Nase, auch Leder und dunkle Frucht, ansprechend. Im Mund elegant, eher dunkelfruchtig, filigran schlank, aber nicht dünn. Feines Tannin, mittellanger, angenehm holzwürziger Abgang. Macht Freude. (87 Punkte, jetzt bis 2012)


4. Chateau Lynch-Moussas Pauillac, 1996
Den nächsten Zweierflight eröffnete ein Wein mit heller purpurroter Farbe. In der Nase etwas erdig, dazu etwas unreife Noten von grüner Paprika. Leicht alkoholisch, kräutrig (Rosmarin). Im Mund finden sich die unreifen Noten nicht wieder, hier ist der Wein durch Herzkirschen dominiert. Insgesamt schlank, balanciert und – ja, man muss das wohl so sagen – langweilig auf hohem Niveau. Am Gaumen ist das Holz recht gut eingebunden (etwas stumpfend), insgesamt schon mittellang. (83 Punkte, jetzt bis 2009)


5. Chateau Gloria St. Julien, 1995
Wein Nr. 5 hat eine purpurrote Farbe ohne Wasserrand, intensiv dunkle Frucht (Pflaume und Schwarzkirsche), leicht stallig, gute Ansätze von Komplexität. Im Mund fällt der Wein erschreckend ab, schlank, wenig Frucht, stumpfes Mundgefühl. Bleibt weit hinter der Nase zurück. Trocknendes Tannin, wenig Frucht und eine schon unangenehme Bitternis am Gaumen. Diskussion brandete am Tisch auf – ich vermutete einen schleichenden Kork, blieb mit der Meinung aber alleine am Tisch. Ganz intakt war der Wein aber nicht (”hat einen Schlag weg”) – insoweit bestand dann doch Einigkeit. Sehr schade, denn die Nase war durchaus vielversprechend. (84 Punkte?)


6. Chateau Larmande Saint-Émilion, 1993
Flight Nr. 3 wurde mit einer untypischen Bordeaux-Nase eröffnet. Bestimmt durch einen eindringlichen (für mich störenden) Lösungsmittelton und Anklänge von roten Beeren, dazu nur ein verhaltener Schokoton. Roch nach einfachem Spanier, so hieß es am Tisch. Weder richtig reintönig noch ansprechend. Naja, wir waren mutig und probierten einen leider nur wenig strukturierten, schlanken Wein, der im Mund ziemlich wegbrach, nachdem er sich vorher scheu mit roter Frucht zeigte. Eher kurz als mittellang, kräftiges, trocknendes Tannin. Gehört jüngst getrunken — oder für eine böse Schwiegermutter verwahrt. (76 Punkte, austrinken)


7. Chateau Troplong Mondot Saint-Émilion, 1993
Rubinrote Farbe, mit Rostorange-Nuancen. Stallige und rauchige Nase, rote Beeren. Merlotgeprägt. Saftig dicht im Mund, ernsthaft, aber nur mäßig tief. Hat Kraft und eine angenehm schlanke Extraktsüße. Am Gaumen fein gereiftes Tannin, auf den Punkt. Bricht ganz zum Schluss aber ziemlich auseinander, kräftige Säure bleibt stehen. Auch etwas bitterlich. (83 Punkte, jetzt oder in 2009 austrinken)


8. Chateau Poujeaux Moulis en Medoc, 1993
Dichtes Rubinrot. In der vehementen Nase pilzig, mit deutlichen Reifenoten. Aber sehr angenehm, wenn man das (wie ich) schätzt, dazu eine leichte Orangen-Note. Auch im Mund schon tertiäre Noten, letzte rote Beeren, eine leichte Extraktsüße, dicht. Weiches Mundgefühl, zeigt Ansätze von Struktur und Tiefe. Sehr gute Länge, überraschend kräftig im Tannin, aber sehr fein eingebunden. So wie er sich hier präsentiert jetzt für mich wunderschön und mit Genuss auf dem Punkt zu trinken. (87 Punkte, jetzt trinken)


9. Chateau Poujeaux Moulis en Medoc, 1989
Helles Rubinrot. Prägend in der Nase sind rote Johannisbeeren, wirkt noch frisch. Im Glas mit mehr Luft auch deutliche Reifetöne, Orangen und Pfeifentabak. Im Mund rotfruchtig, recht balanciert, hat etwas Tiefe, ein seidiges Mundgefühl. Schwierig den Geschmack näher zu bestimmen. Am Gaumen bleiben Frucht und Kaffee-Noten stehen, präsentes, gut eingebundenes Tannin. Schon lang. Vielleicht kommen da mit weiterer Reife noch 2-3 Pünktchen mehr. (85+ Punkte, bis Ende 2012 trinken)


10. Chateau Poujeaux Moulis en Medoc, 1986
Dichtes Rubinrot, leichte Aufhellungen ins Orangene. Unterholz und rote Früchte in der Nase, Zimt, pilzig. Zeigt unter den letzten drei Weinen die Nase mit der prägnantesten Reife. Dicht im Mund, hat Druck, seidig, durchaus elegant. Am Gaumen weiterhin roten Früchte, Holzwürze, kräftiges Tannin, stumpft ziemlich, auch kräftige Säure. Der Wein fasert am Gaumen etwas auseinander. Schade, denn bis dahin war der Wein auf der eleganten Schiene unterwegs, also eher alsbald trinken. (86 Punkte, jetzt trinken)


Somit also erneut eine Überraschung. Poujeaux 1993 schlägt 1989 und 1986. Zumindest heute, jetzt und hier. Hatte ich so nicht erwartet im Vorfeld — das Staunen am Tisch verriet, ich war in guter Gesellschaft. Es war übrigens die absolut einhellige Meinung am Tisch — man kann gern über die Punkte im Einzelnen streiten, aber für jeden war der 1993er der stärkste Wein im Flight. Ein schöner Erfolg für das Gut in einem doch eher kleinen Jahr.


11. Chateau Montrose Saint-Estèphe, 1994
Trübes Purpurrot im Kern, orangefarbene Reflexe am Rand. Etwas Amarenakirsch, jedoch viel eindimensionale Holzwürze; auch deutliche pilzige Alterungstöne. Insgesamt wenig komplex. Seidig im Mund, aber höchst gereift — ausgezehrte schwarze Frucht, etwas Graphitspuren, kaum Tiefe. Am Gaumen sehr säurelastig — so sehr, dass man von Disharmonie sprechen kann, kaum mehr Frucht, unfokussiert, zerfällt gänzlich am Gaumen. Nach dem Aufdecken lange Gesichter, die nächste Überraschung — eine so schwache Performance hatte niemand erwartet. Einen Flaschenfehler haben wir ausgeschlossen und eine gute Lagerung unterstellt. Aber dieser Wein war reifemäßig einfach drüber. (76 Punkte, in diesem Zustand austrinken)


12. Chateau Belgrave Haut Medoc, 1998
Einen ambivalenten Wein haben wir mit Wein Nr. 12 im Glas. Waldboden, Pilze — also gereift auf der einen Seite. Kaffee und frische schwarze Früchte auf der anderen Seite. „Frische Reife“, wenn es denn so was gäbe. Im Mund schwarze Beeren, Schwarzkirschen, Vollmichschokolade, feine Extraktsüße. Im Mund passable Struktur, eigentlich gelungen. Am Gaumen aber stark vom Holz geprägt, man kann fast sagen erdrückt. Die Frucht bricht auffällig schnell weg, das Holz bleibt. Schlecht ist das nicht, aber die auffallende Kürze des Weines ist etwas erschreckend. Ehe man es bemerkt, ist von der Frucht nichts mehr da. Der Wein lässt mich ein wenig ratlos zurück. (85 Punkte, ab 2011 — vielleicht taucht er wieder auf)


13. Chateau Chasse Spleen Moulis en Medoc, 1990
Stallige Nase, auch fein gereiftes Unterholz, sehr präsente Nase mit Tabak und würziger Brombeere. Seidig im Mund, fein, fast schon samtig. Blaubeeren, dunkelfruchtig. Kräftiges Tannin im Abgang, ganz leicht trocknend, hat aber dennoch noch etwas Potenzial. Positiv auffallend ist mir bei diesem Wein das Holzmanagement — von der Nase bis in den Abgang präsent, aber jederzeit stimmig eingebunden. Wirkt nicht müde. (87+ Punkte, jetzt bis 2012)


14. Pavillon Rouge (Chateau Margaux) Margaux, 2000
Ein kräftiger, dabei jederzeit eleganter Wein eröffnet den letzten Dreierflight. Dunkles Purpur mit leichten violetten Reflexen. In der komplexen Nase eine kühle Mineralik, Toffee und Kaffee — dieser Holzduft macht richtig Vorfreude auf den ersten Schluck. Im Mund Herzkirschen, feine Holzwürze, harmonisch, zeigt geschmackliche, mineralische Tiefe. Am Gaumen präsentes Tannin, aber sehr gut gemacht. Geschliffenes Tannin, dass dem Wein in einigen Jahren noch mehr Struktur geben kann. Lang. Eleganter Wein, der noch Potenzial hat. (91+ Punkte, ab 2012 bestimmt bis 2020)


15. Pavillon Rouge (Chateau Margaux) Margaux, 1990
Wein Nr. 15 kommt ähnlich elegant daher, aber deutlich gereifter. Helles Purpurrot, leichte Reflexe in Orange am Rand. Paprika, wieder mineralisch, rotfruchtig, insgesamt sehr strukturiert, mit feinen Kaffeenoten. Die Fruchtnoten der Nase wiederholen sich im Mund, auch wieder etwas Mineralisches. Das ist elegant. Etwas schlanker als sein Vorgänger — büßt aber an Komplexität nichts ein. Ein langer Abgang, begleitet von geschliffenem, fast schon samtigem Tannin. Flüssige Harmonie — jetzt auf dem Punkt. (92 Punkte – jetzt und bis 2013)


16. Chateau Lynch Bages Pauillac, 1998
Der schwächste Wein dieses Flights, aber wenn das die Referenz wäre, ich wollte ab jetzt nur noch schwache Weine trinken. Eine Nase, die geprägt ist durch Kaffee, Hölzer und komplexe rote Fruchtnoten. Auch im Mund etwas rustikaler als seine Vorgänger, etwas weniger Kraft und Opulenz, aber jederzeit von hoher Güte und Dichte. Samtiges Mundgefühl. Lang im Abgang, aber mit leicht trocknenden Tanninen. Insgesamt sehr harmonisch. Mir noch zu jung, hat Potenzial. (89+ Punkte, ab 2011)


Auch die nachfolgende Reperaturrieslinge waren schmackhaft, ich habe aber nicht mehr mitnotiert. Fazit des Abends: Schön war das. Freunde wieder getroffen, andere zu Grabe getragen. Noch einmal herzlichen Dank an unseren Gastgeber für diesen absolut gelungenen Abend!

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