Der Aufbruch des trockenen Rieslings

Der Aufbruch des trockenen Rieslings

Am 28. Januar 2012 luden Herr Frackenpohl und ich ins Kameha Grand Hotel zu einer umfangreichen Probe trockener Rieslinge aus den 90er-Jahren ein. Bei einer solchen Probe besteht die große Gefahr, dass man nach 50 Weinen zwar alle Nuancen der Firne und sonstigen Alters- bzw. Tertiäraromen kennt, aber man ja eigentlich Riesling im Glas haben wollte, sprich Frische, Finesse, einen ganzen Korb unterschiedlichster Früchte und das einmalige Spiel aus Süße und Säure. Und dann noch die 90er-Jahre, wo der trockene Riesling bei den meisten Winzern die zweite Geige spielte, oder zumindest nicht mit der Sorgfalt bereitet wurde, wie es heute zuweilen der Fall ist. Aus diesem Grund tauchte das Wort „Aufbruch“ im Titel der Probe auf, um die Probenteilnehmer richtig einzustimmen.

Mittels diversen Vorproben ging es in der Vorbereitungsphase darum jene Ausnahmen zu identifizieren, die nicht nur Altweintrinkern Freude bereiten. Ziel war es die besten trockenen Rieslinge der 90er-Jahre in einer Probe zu versammeln. Dies ist leider nicht einfach zu bewerkstelligen, selbst wenn das Geldsäckel prall gefüllt sein sollte, denn im Gegensatz zu einem z.B. Heyl zu Herrnsheim Bruderberg von 92, gibt´s den 47er Cheval Blanc praktisch an jeder Ecke zu kaufen.

Nichts desto trotz wollten wir eine Werkschau der besten Weine aus dieser Dekade zusammenstellen, ausschließlich aus großen Lagen von damals bedeutenden Winzern, nicht alle sind es heute noch, weder Winzer noch Lagen. Wir taten es in der festen Überzeugung, dass auch der trocken ausgebaute Riesling im Grundsatz über ein enormes Reifepotential verfügt und mit einer längeren Flaschenreifung (mind. 10 Jahre) geschmacklich gewinnen kann. Damit will ich auf keinen Fall behaupten, dass die meisten erzeugten Rieslinge geschmacklich mit der Reife gewinnen. Das Gegenteil ist der Fall. Dieses Potential zeigt sich, wie bei allen anderen großen, lagerfähigen Rebsorten auch, naturgemäß nur im Spitzensegment. 98 % der Weine werden überhaupt nicht dafür erzeugt. Warum auch? Was gibt es schöneres als einen frischen, primäfruchtigen Riesling, egal ob trocken oder mit Restsüße. Aber das ist ein anderes Thema. Diese Probe drehte sich aber eben nun mal um den trockenen Spitzenriesling und dessen geschmackliche Entwicklung bei fortschreitender Reife.

Die Probe bestand aus insgesamt 53 Weinen, aufgeteilt in sieben Flights. Mit einer Ausnahme hatte jeder Flight einen Winzer zum Thema, gelegentlich war ein Pirat eingestreut.

Flight 1 – Helmut Dönnhoff (8 Weine)

Flight 2 – Georg Breuer (8 Weine)

Flight 3 – Franz Künstler (9 Weine)

Flight 4 – Domaine Trimbach (7 Weine)

Flight 5 – Roter Hang (9 Weine)

Flight 6 – Koehler-Rupprecht (3 Weine)

Flight 7 – Bürklin-Wolf (9 Weine)

Es folgen nun die Beschreibungen der einzelnen Flights.


Flight 1 – Helmut Dönnhoff

Das Beste an dem Flight war der spontane Naseneindruck beim allerersten Wein, der 90er Hermannshöhle. Was für ein grandioser Auftakt für eine solche Probe. Leider hielt dann der Mund nicht das Versprechen der Nase – die Säure stach im hinteren Verlauf zu sehr hervor. Und so ging es leider weiter: sehr ordentliches Niveau, aber jeder Wein hatte irgendein kleines Problem. Und so fehlte das richtige Highlight. Trotzdem war die Frische, die zum Teil jungen Stein- und Kernobst-Aromen sehr erstaunlich. Mit Ausnahme des Piraten, Weine die eher auf der fruchtig-eleganten Seite daherkamen. Es war für mich das erste Mal, dass ich ältere Dönnhoffs in dieser Anzahl im Glas hatte, und blind wäre ich nicht auf Nahe gekommen; ebenso wenig wie meine Kommilitonen am Verkostungstisch. Zu den aktuellen GGs von der Nahe fehlte es ihnen an Konzentration und mineralischer Tiefe und Komplexität. Trotz allem bekam man eine Ahnung von der Qualität dieser großen Nahe-Lagen. Mein Favorit die 97er Spätlese trocken aus dem Norheimer Dellchen. Und die Spannweite meiner Punkte von 86 bis 91 weist auf ein beachtliches Niveau hin.

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Flight 2 – Georg Breuer

Ein großartiger Flight, der das ganze Können von Bernhard Breuer und das ganze Potential dieser beiden Lagen eindrucksvoll aufzeigte. Es ging los mit einem glockenklaren, mineralisch geprägten 93er-Nonnenberg aus der Magnum, mit packendem Antrunk, viel Zug und Frische am Gaumen, einem fein-pikantem Säurespiel und sehr langem Finale (94 Punkte). Noch ein Punkt darüber, nun in der Kategorie „Groß“ angekommen, der Schlossberg aus demselben Jahr – für mich eine nahezu perfekte Interpretation dieser Lage. Auch der 94er war großes Kino. Anschließend ging es etwas darunter, aber immer noch locker auf ausgezeichnetem Niveau weiter. Leider hatten wir beim 96er eine schlechte Flasche erwischt. Deutlich war die Qualität der Jahrgänge zu schmecken. 93 und 94 waren sicherlich in dieser Dekade die hochwertigeren Jahrgänge, während 97 bis 99 eher problematisch verliefen. Spätestens beim 99er zeigten sich aber auch erste Anzeigen einer Verschlossenheit. Kindermord? Die Aromatik fast vordergründig, leicht verwaschen, am Gaumen verschlossen, ein wenig kantig und unzugänglich. Es wird weiter spannend zu beobachten sein, wie sich die Weine weiter entwickeln.

Insgesamt eine vollständig unterschiedliche Stilistik zu Dönnhoff. Die Weine hatten schon damals eine enorme Konzentration, vollen Körper und sind primär geprägt von einer komplexen mineralischen Aromatik. Trotz dieser Konzentration bleiben die Weine ungemein trinkfreudig und animierend. Dies liegt nach meiner Ansicht auch an den sehr niedrigen Alkoholgraden, teilweise unter 12 %. Die Weine sind extra trocken ausgebaut, die enorm hohe Extraktdichte sorgt jedoch für ausreichend Fülle und Schmelz. Die Lese erfolgte offensichtlich zum richtigen Reifezeitpunkt und man lässt sie nicht zu lange hängen.

Alle Teilnehmer waren angetan von dem Flight. Erneut zeigte kein Wein Altertöne oder irgendwelchen Anzeigen von Müdigkeit.

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Flight 3 – Franz Künstler

Auch hier zeigte sich das Potential der Lagen und die Vorteile der große Jahrgänge. Die Hölle Auslesen aus 92 und 93 waren frisch, jetzt deutlich auf der reifen, gelbfleischigen Fruchtseite und von erdige Mineralik (beide klar über 90 Punkte). Aber bereits mit dem 94er gingen die Probleme los, viel Säure, etwas aufgesetzt Frucht. Nicht alt oder müde, aber irgendwie angeschlagen. Alle anderen Weine habe ich deutlich schwächer oder nicht mehr bewertet. Jeder war auf eine andere, merkwürdige Weise deutlich unharmonisch, oder einfach schwach. Diffuse Frucht, Alkohol, Schwerfälligkeit usw. Insgesamt eine große Enttäuschung, vielleicht auch, weil ich sehr hohe Erwartungen an den Flight hatte, gerade weil die Weine von bekannten Weinkritikern mit großen Worten über den Klee gelobt wurden. Vermutlich hatten wir einfach Pecht. Wie auch immer, schnell weiter…

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Flight 4 – Domaine Trimbach

Eigentlich eine Schande deratige Ikonen im Rahmen einer solchen Probe aufzumachen, denn es sind derartig große und abgrundtiefe Gewächse, dass man jeden einzelnen am liebsten einen ganzen Abend begleiten würde, um ihnen ihre Geheimnisse zu entreißen. Schon beim ersten Wein, dem 83er aus dem Clos St. Hune, schauerte es mich umgehend. Ein Wein für die Ewigkeit gemacht – klar, kalt, tief und rein, wie ein kühler Gebirgsbach in dem große Kieselsteine liegen und unter ihnen befinden sich diverse Essenzen von Aromen – Gräser, tropische Zitrusfrüchte uvm. Das ist großer Riesling – 97 Punkte. Danach konnte es natürlich nur noch bergab gehen, aber mit 94, 90, 88, 92, 90 und 95 war es gerade noch so auszuhalten. Gerade der 2001er gab uns eine Ahnung wie der 83er vor 20 Jahren wohl geschmeckt hat. Leider sind die Weine heute nahezu unbezahlbar,  der 83er kostest aktuell weit über 500 Euro, von daher ist die Cuveé Emile eine sehr interessante Alternative, die nur ganz knapp dahinter lag, wohlgemerkt beim Genuss und nicht vom Preis. Während ich die Trimbacher verkostete, wurde mir auf einmal klar wo Bernhard Breuer mit seinen Weinen hinwollte. Den die monumentale Art der Clos St. Hune erinnern eher an große Montrachets, als an aktuelle Riesling GGs und die Breuer-Weine deuten in dieselbe Richtung. Vielleicht hatte Bernhard ja jeden Abend seinen Clos St. Hune im Glas…

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Flight 5 – Roter Hang

Szenenwechsel. Weine von ganz anderer Art wurden und werden am Roten Hang erzeugt. Wuchtige, fleischige Weine mit in die Breite gehenden Körper und einer erdig-rauchigen Mineralik. Für mich ein willkommenes Kontrastprogramm zu Breuer und Konsorten. Die Weine spielen viel mehr mit der Restsüße, geizen nicht mit Schmelz und betören mit einer öligen Textur. Wenn dann noch Frische, aromatische Tiefe hinzukommt und das Spiel nicht verloren geht, dann können es große Wein sein. Insbesondere der Niersteiner Bruderberg ist eine Lage, die solche Weine hervorbringen kann. Diese offenbarte sich zum wiederholten Mal besonders im 92er (93 Punkte), sicherlich einer der größten trockenen Riesinge aus den 90er-Jahren, aber ebenso die beiden Folgejahre waren durchaus gelungen. Bereits in den 90er-Jahren war der Rote Hang ein Ritt auf der Rasierklinge und so gab es auch den einen oder anderen, der dann deutlicher abfiel, weil es ihm dann eben an jener Frische und Spiel mangelte. Wobei ich hier jetzt überwiegend auf hohem Niveau jammere, denn Altersschwäche zeigte keine der Weine, nur die Schwierigkeiten der Jahrgänge und Lage. Der beste Wein des letzten Flights war für mich wieder ein 92er, diesesmal jedoch aus dem Pettenthal von Heyl zu Herrnsheim (94 Punkte). Deutlich trockenere Stilistik, trotz der Bezeichnung halbtrocken, große Tiefe, fein-gereifte Säure, ungemeine Saftigkeit am Gaumen, komplexe Mineralik, sehr langes Finish. Mal wieder ein Beispiel für das Reifepotential von halbtrockenen Weinen.

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Flight 6 – Koehler-Ruprecht

Der nächste Flight ging dann ein wenig in die Hose, weil der eigentlich Star gar nicht da war. Denn anstelle des versprochenen trockenen 98er R, hatten wir versehentlich die restsüße Auslese R eingepackt, die natürlich deutlich aus dem Rahmen fiel. Der 90er mit 91 Punkte sicherlich ein sehr guter Wein, aber deutlich unter meinen Erwartungen, ebenso der 97er, mit dem ich dann nicht mehr viel anfangen konnte – ein ganzer Busch Küchenkräuter und Gewürze, schärfender Ingwertouch, vielleicht zu entsprechender Küche, heute als Solist ungeeignet – ich traue es mir gar nicht zu sagen, aber er wirkte zugenagelt. Aber vielleicht ist auch der Ruhm dann noch größer, als die Tat, wobei ich auch schon ganz große „R“s im Glas hatte. Und so bleibt die 98er „R“ trocken noch weiter auf meiner Wunschliste stehen.

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Flight 7 – Bürklin-Wolf

Hatten wir bis jetzt viel Flaschenglück, schlug nun leider der Korkteufel ohne Gnaden zu. Mindestens drei Flaschen waren eindeutig verdorben, eine weitere aus meiner Sicht zumindest angeschlagen. Was blieb war großartig, mit einem erstaunlich distinguierten Geschmacksbild – die Merkmale der großen Pfälzer Lagen sprangen einen förmlich aus dem Glas. Der beste Wein des Flights war, für mich wenig überraschend, der 98er Gaisböhl, einer der besten Weine die BW in den 90ern abgefüllt hat, zeigt aber mittlerweile erste, äußerst angenehme Reifenoten.  Die Lage kann ich nur empfehlen und steht den großen Forster-Lagen in nichts nach. Ausgezeichnet auch der 94er aus derselben Lage und die beiden 99er bildeten einen ausgezeichneten Abschluss, wobei der gewohnt fruchtig-saftige Pechstein eine Nasenlänge voraus war. Beide Kirchenstücke vielen leider mehr oder weniger aus (Kork und schlechte Flasche).

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Anschließend führte unser Sushi-Meister Herr Takashi die bestens gelaunte Truppe in die japanische Küche ein und Herr Frackenpohl lies es sich nicht nehmen die passenden, teilweise exzellenten Tischweine für das Menü zu stellen.


Lokalität

Das Kameha Grand Hotel wurde aufgrund des Probenraums ausgewählt. Im Gegensatz zur üppig neobarocken Inszenierung des Hauses, überzeugt er durch seine Klarheit, Strenge und Großzügigkeit. Auch dank großer Glasfassaden sorgte viel Tageslicht für optimale Bedingungen für eine Verkostung. Nicht notwendig, aber gerne mitgenommen der schöne Blick auf den Rhein und Bonn, samt einer großen Dachterrasse zum Durchlüften der Geschmacksnerven während der Pausen.


Teilnehmer

Eine bunte Mischung. Ich will kein Name-Dropping veranstalten; Voraussetzung war eine hinreichende Verfahrung beim Verkosten von großen, trockenen Rieslingen, die übliche Demut und Neugier bei Blindverkostungen und ganz wichtig Sympathie. Aufgrund der stark limitierten Plätze konnten wir nicht alle Weinfreunde einladen, die locker die obigen Kriterien erfüllt hätten – sorry an alle.



Fazit

Für mich war es eine „Once-in-a-Lifetime-Opportunity“ diese Weine einmal am Stück im Glas zum haben – viele wohl zum letzten Mal. Einige Weine enttäuschten, andere waren angeschlagen oder hatten Kork, aber kein einziger Wein zeigte Anzeichen von Senilität oder wurde bereits deutlich von oxidativen Noten bestimmt. Überraschend oft hatten wir ganz viel Vitalität, Spiel, gar jugendliche Frische im Glas. Wenn es denn noch einen Beweis bedurft hatte, zeigte diese Verkostung eindrucksvoll das ganze Reifepotential des trockenen Rieslings  – manche von ihnen waren nach 10 Jahren Flaschenreife gar noch zu jung. Die Herrscharen von Verkostern sollten sich daher ein wenig zurückhalten, wenn sie den aktuellen Jahrgang schnell über den Klee loben, oder ihn abstrafen. Geduld Freunde. Und ob der aktuellen Qualität der jungen Jahrgänge und der jungen, talentierten Generation an Winzern dürfen wir uns auf große Altweinverkostungen in 10 Jahren freuen.

Die Verbindung von höchster Komplexität durch längere Reifung auf der einen Seite, mit der Eleganz und Frische, ja Primärfruchtigkeit auf der anderen Seite, daß kann nur Riesling.

Es war mir eine große Freunde und auch innerliche Verpflichtung gegenüber dieser grandiosen Rebsorte, gemeinsam mit Karl-Heinz Frackenpohl, diese Probe ausrichten zu dürfen.

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