Elf mal 1982er-Bordeaux
[Gastbeitrag von Michael Herr]
1982 gilt als der beste Jahrgang in seiner Dekade. Entsprechend haben sich auch die Preise entwickelt – sie sind ständig gestiegen. Daher war die Einkaufspolitik recht einfach: Meide den hochgelobten und teuren Jahrgang 1982, kaufe und trinke 1985,1986, 1988 und 1989 (wenn es der Geldbeutel ab und zu zulässt). Hierdurch hatte ich viele schöne eindrucksvolle Wein-Erlebnisse, allerdings auch einige Enttäuschungen (beispielsweise Ducru Beaucaillou mit penetranten Geruch und Geschmack nach Chemie/Holzschutz). Ich erfuhr auch, dass es nicht immer die hochgepriesenen Premier Cru’s sein müssen.
Aber der Jahrgang 1982, inzwischen in die 30er Jahre angekommen, war reif für eine Probe. Ich hatte durch Weinfreunde das ein oder andere Mal schon einen 1982er im Glas und meine Neugierde wuchs mit jedem Schluck. Hierzu bedurfte es allerdings etwas Glück zu haben – welches manchmal im Leben einfach anklopft. So auch bei mir, indem ein Weinfreund aus Landshut eine 82er-Bordeauxprobe ausschrieb. Also ran an die Tastatur, bevor die Probe Ruck-Zuck ausgebucht ist. Wundersamer hatte der Landshuter Weinfreund Andreas aber eher das Problem, die Probe mit Teilnehmern voll zu bekommen. 1982 Bordeauxprobe und nicht ausgebucht? Wie geht das? Tja, es fehlten die großen Namen der Premier Cru’s. Nun gut, nach dem zweiten Anlauf trafen sich in Landshut 5 Weinfreaks, um elf 1982er zu verkosten. Das line-up war schnell beschlossen, auch die Dekantierzeiten für die Weine. Es war ein toller Abend in einer sehr angenehmen Runde mit begeisterten Weinfreunde aus Landshut und Rosenheim und mir als angereisten Rheinländer. An dieser Stelle nochmals vielen Dank an Andreas, der diese Probe bei sich zu Hause ausrichtete und auch für das leibliche Wohl gesorgt hat.
Nun zu den Weinen:
1982 Chateau Leoville Poyferre
Der einzige Wein, der anfangs ein wenig Muff in der Nase hatte, daher dachten wir, OK, starten wir mit den vermeintlich schwächeren Weinen. Dekantierzeit: 1 Stunde
Nase: Hinter dem Muff, reife rote Früchte, etwas Zederholz, nasses Laub und Pilze und ein wenig Leder. Die Nase wurde immer besser, der Muff verflog zugunsten einer tollen rotfruchtigen Nase
Gaumen: Fruchtsüßer, aber nicht aufdringlicher Antrunk gepaart mit gut eingebundenen sauberen Tanninen und einer feinen Säure. Überraschend gut, nach der eher problematischen Nase. Ich beschloss, den Wein eine halbe Stunde zur Seite zu stellen und dann erneut zu probieren.
½ Stunde später:
Kein Muff mehr in der Nase, tolle BDX Nase mit allem was ich hinter dem Muff zuvor schon gerochen hatte, klasse. Auch der Gaumen kam auf seine Kosten- frei nach dem Motto: „ Achtung hier kommt der 82er Leoville Poyferre“. Ein BDX, der jetzt voll auf dem Punkt gereift ist. Wunderbar eingebundene weiche Tannine, eine nach gereiften roten und schwarzen Johannisbeeren schmeckende Fruchtkomposition mit einer nicht aufdringlichen, aber präsenten Säure (nenne ich dann immer feine Säure). Einfach elegant spielt der Poyferre mit der Frucht, der Säure, den Tanninen und ein Touch Leder und Pilzen am Gaumen. Ein ausgezeichneter Wein, erst 91, dann 92 und zum Schluss zwischen 92-93 Punkte.
1982 Chateau Beychevelle
Dekantierzeit: 1 Stunde
Nase: Leicht animalische Töne, zugleich eher kühl und mit einer Sauerkirsche
Gaumen: Etwas zurückhaltend, rote Kirschen noch sehr präsente Tannine, die Säure ist in dem Kirsch/Tanningerüst gut eingebunden. Ich merke die große Struktur des Weines am Gaumen, aber alles ist irgendwie noch nicht so zugänglich, wie ich es mir wünschen würde. Also, ab ins zweite Glas und einfach mal eine Stunde warten. Nach einer weiteren Stunde: Ah ja – jetzt hat sich der Beychevelle entschieden, uns zu zeigen, dass er durchaus in der Liga der ausgezeichneten Weine mitspielen kann. Ich habe mehr Kirsche am Gaumen, auch etwas Unterholz und Laub, alles ein wenig zugänglicher – aber die Tannine sind dennoch noch ein wenig kantig (nicht grün oder unreif). Mit anderen Worten, ein ausgezeichneter Wein, den ich gerne in ein paar Jahren erneut verkosten möchte. Bekommt von mir ein + wegen des Potentials, also 91+Punkte.
1982 Clos du Marquis
Nase: Grüne Paprika- sehr dominant und eher ein sehr kühler Eindruck.
Gaumen: Im Antrunk setzt sich die grüne Paprika fort, gefolgt von einer Tanninwand. Dann folgt ein wenig Wald und Laub und immer wieder schlägt brutal das Tannin am Gaumen durch. Im Finale wieder grüne Paprika gepaart mit ein wenig Bittertönen und leider etwas austrocknend. Ob das sich jemals findet bzw. einbindet? Ich glaube eher nein, gebe dennoch 86 Punkte.
1982 Chateau Ducru Beaucaillou
Hierzu muss ich zuvor ein, zwei Sätze verlieren. Durcu ist für mich immer ein Lotteriespiel, bei dem ich zumindest häufig verliere. Viel zu häufig habe ich einen Chemiebaukasten der Holzmittelindustrie im Glas. Ganz selten mal einen Durcu der wirklich Spaß macht. Also gehe ich mit entsprechenden Vorbehalten an den 82er Durcu.
Nase: Oh, meine Befürchtungen werden wahr – stopp, stimmt nicht. Good news, keine Holzschutzfarbe im Glas, aber schwierig – diffus – sperrig
Ich habe keine Lust, den Wein in den Mund zu nehmen.
Gaumen: Gleiches Spiel – sperrig leicht bitter, aber keine Holzschutzfarbe – immerhin. Was tun? Am liebsten für 48 Stunden wegstellen, aber solange dauert unsere Probe ja nicht.
1 Stunde später:
In der Nase rote reife Früchte, Leder und Zedernholz. Also erneut ab in den Mund. Ich werde versöhnlich gestimmt. Ich schmecke reife, rote Früchte gepaart mit einer kühlen steinigen mineralischen Art. Feine Säure und durchaus präsente Tannine. Ich kann dem Durcu nach den anfänglichen Startschwierigkeiten und meinen bisherigen Erfahrungen eine gewisse Klasse nicht absprechen. Mit jedem Schluck stimmt er mich milder und am Ende des Abends zücke ich immerhin 91 Punkte.
1982 Château Cos d’Estournel
Nase: Tief und kühl – schwarze Johannisbeere gefolgt durch ein wenig Teer und Grafit.
Gaumen: welch ein Antrunk – reife schwarze Johannisbeere mit einer balancierten Säure und auf dem Punkt eingebundene Tannine. Das ist für mich einfach elegant, wie diese Komponenten am Gaumen spielen. Damit aber nicht genug – die mineralische grafitbetonte Art mischt sich am Gaumen ein und bringt den Wein damit zum SUPER Cup Anwärter des Abends. Super Länge – super Spiel. Bisher der beste Wein des Abends, ja so kann es jetzt bitte weitergehen – mehr davon – ich zücke 94 Punkte.
1982 Château Talbot
Ein Chateau mit großen Flaschenvarianzen. Ich habe bisher zweimal einen Talbot getrunken, einmal sehr gut aber nicht ausgezeichnet, eine zweite Flasche, die großartig war. Daher betrachte ich das Glas mit dem gefüllten Talbot und denke mir, OK – immerhin eine 50% Chance
Nase: Es wird sofort klar, wir sind auf der Gewinnerseite. Tolle Nase, die mich an den besseren der beiden Tabot erinnert. Gereifte schwarze Johannisbeere, etwas Leder, ein paar Champignons, etwas Zeder – eine komplexe Nase. Keine Spur von Überreife – sehr verführerisch
Gaumen: Welch ein Antrunk, wir haben in der Tat einen großen 82er Talbot im Glas. Reife schwarze Früchte (neben der Johannisbeere auch etwas Schwarzkirsche) mit einer perfekt eingebundenen Säure und feinem Tanninen. Damit aber nicht genug, jetzt beginnt das Talbot-Spiel: Es wird kühl-mineralisch (Steinig oder eher Grafit – ach egal – einfach toll) kombiniert mit Zigarrenholz, etwas Kaffee ein Touch Kakao aber alles ganz leise alles ganz unaufdringlich. Auch der Wald schleicht am Gaumen entlang: Laub und Pilze, etwas Unterholz. Und was für eine Länge. Gebt mir mehr von diesem Talbot, schön, dass wir nur zu fünft sind. 95 Punkte.
1982 Château Baron de Pichon
Den 82er Baron hatte ich in sehr guter Erinnerung und freute mich auf das vor mir stehende Glas.
Nase: Sehr reife süße Fruchtkomposition, etwas Liebstöckel und jede Menge Laubwald.
Gaumen: Der Eindruck der reifen Früchte setzt sich am Gaumen fort, gefolgt von etwas Liebstöckel. Tannine sind schon ein wenig geschliffen. Vieles deutet darauf hin, dass der Baron sein Zenit erreicht hat. Ist mir alles etwas zu brav, alles schon ein wenig gezerrt. Dennoch ein toller Wein, allerdings glaube ich nicht, dass er noch besser wird. Meiner Meinung nach jetzt trinken. Von mir bekommt der Baron gerne 91 Punkte
1982 Château Haut Brion
Andreas hat es sich nicht nehmen lassen, zumindest ein Wein aus der ersten Garde sollte doch dabei sein. OK, nach ein wenig Recherche wird klar, dass der Wein sehr unterschiedlich beurteilt wird. Also ab ins Glas, um sich selbst eine Meinung zu bilden.
Nase: leichter Touch an Lösungsmittel, ansonsten rote und grüne Paprika, etwas Unterholz
Gaumen: Erstaunlich schwarzfruchtiger Antrunk, hat die Nase so überhaupt nicht angezeigt. Gefolgt von eingebundenen Tanninen und einer passenden Säure. Es folgt ein wenig Zedernholz und erneut etwas Johannisbeere. Alles im allem ein sehr guter Wein, was mir allerdings fehlt, ist die Raffinesse, das Spiel am Gaumen. Bitte nicht falsch verstehen, ein sehr guter/ausgezeichneter Wein, allerdings hat er nicht die Länge, die ich bei einem solchem Chateau aus dem tollen Jahr 1982 erwarten würde. 90 Punkte.
1982 Château Gruaud-Larose
Auch hierzu eine kleine Geschichte. Immer wieder sehr gut bewertet, aber auch hier und da sehr große Flaschenvarianzen. Den Wein habe ich über meinen Weinfreund Rainer organisiert, der eigentlich ursprünglich teilnehmen wollte, aber aufgrund eines „Mistverständnisses“ bezüglich des Ortes („wie bitte – das findet in Landshut statt?“) nicht teilgenommen hat. Dennoch konnte ich ihm die Pulle aus seinen Bordeaux-Rippen operieren.
Nase: Hier wird sofort klar, großes Kino (mache sprechen auch von Noblesse). Ich mache es daran fest, dass bereits in der Nase ein vielschichtiges Miteinander von Fruchtkomponenten, mineralischen Anklängen und weiteren Geruchskomponenten ein Konzert bilden. OK, zurück zum Bukett: schwarze Früchte, sowohl Johannisbeere als auch Kirsche, etwas Lakritz, ein wenig Leder, Unterholz und Ätherisches und alles im ständigen Wandel – welch eine vielschichtige Nase!
Gaumen: Gereifte Extraktsüße (nichts Aufgesetztes oder Kompottiges das breit wirkt) mit einer begleitenden Säure, die in dieser Kombination Eleganz zeigt. Damit aber nicht genug, die Tannine sind auf dem Punkt gereift und integrieren sich in das Gesamtwerk des Gruaud-Larose. Der Rest ist ja schon fast banal: Etwas Laub, etwas Zeder, etwas Zigarre, etwas kräutrig-würziges. Dabei ist immer wieder eine andere Facette des Weins zu entdecken, ohne anstrengend zu wirken. Ein Wein, der 95/96 Punkte verdient, man kann sich einfach Stundenlang damit beschäftigen, ohne das Langeweile aufkommt.
Es war der Punkt gekommen, wo ich eigentlich dachte, OK, das war’s. Was soll jetzt noch kommen? Larose hat doch am Gaumen alles abgeräumt. Ach ja, da ist ja noch der Las Case
1982 Château Las Cases
Ähnlich wie beim 1982er Talbot, sollte dies meine dritte Begegnung werden.
Allerdings war der Las Case immer zu jung. Zu jung? Ja, auf der einen Seite zeigt der Wein großes Potential, auf der anderen Seite gab er uns immer zu verstehen, lasst mich doch einfach noch ein paar Jahre in Ruhe. Wir machten aus der Not hoffentlich eine Tugend: 8-10 Stunden Belüftung in einer großen Karaffe
Nase: Dominate Kirschen (rot und schwarz), schwarze Johannisbeere gepaart mit einer Grafitnote, sehr tief und intensiv.
Gaumen: Überraschend junge (kein Schreibfehler) Frucht und eine charmante Extraktsüße mit einer präsenten, festen Säure. Die Tannine haben eine klare Handschrift, die signalisiert, dass der Las Case noch ein langes Weinleben vor sich haben wird. Etwas Teer und Grafit vermitteln den Eindruck von Tiefe und faszinieren in der Kombination mit der raffinierten abwechslungsreichen Fruchtkombination von schwarzer Johannisbeere und einer reifen Herzkirsche. Etwas Zigarrenkiste, etwas Mokka und einen Touch Kakao gesellen sich dazu. Das Spiel am Gaumen kennt kein Ende. Toller Wein, einfach Klasse, egal ob der ein oder andere Kritiker den Wein abgewertet hat. Großer Wein, ganz klar 95+ Punkte (+ steht für eine weitere Steigerung in den nächsten Jahren (hoffentlich werde ich nicht eines besseren belehrt).
1982 Les Forts de Latour
Eigentlich war die Probe vorbei und wir waren alle rundum glücklich.
Da hatten wir aber die Rechnung ohne Andreas gemacht. Es musste noch ein Pauillac dran glauben getreu dem Motto: Wenn ich schon einen Rheinländer zu Gast habe, sollten es auch mindestens elf Weine sein. Grundsätzlich ist mir die Zahl elf gerade in diesem Zusammenhang sehr angenehm.
OK, für den Erstwein hat es nicht gereicht, aber wir waren Neugierig, wie sich so ein Wein nach über 30 Jahren präsentiert.
Nase: Etwas süßwirkende Fruchtkomposition, sehr reif, etwas Liebstöckel, leichter ätherischer Eindruck (Minze).
Gaumen: Elegante reife rote Früchte (Johannisbeere) und schwarze Brombeeren mit einer sehr feinen Säure. Wirklich ein schöner Antrunk. Die Tannine sind auf dem Punkt eingebunden. Leichte Aromen von Champions und dunkler Schokolade. Elegant, also es kann losgehen. Tja, damit hörte es aber leider auch auf, klar auf hohem Niveau, aber nach dem schönen eleganten Antrunk hatte ich auf ein tolles Spiel am Gaumen gehofft. Kurz gesagt: Toller Wein, allerdings mit einer guten, jedoch keinen sehr guten Länge. Ausgezeichnet, aber nicht groß. Gerne gebe ich 90/91 Punkte
Fazit:
Tolle Probe, keinen Korker, keinen Flaschenfehler, Glück mit dem Durcu und die richtigen Flaschen am Start. Im meinem bisherigen BDX-Leben eine phantastische Probe. Wäre es nicht so teuer, würde ich gerne jeden Tag nur noch 1982er trinken. Aber wer weiß wofür es gut ist, dass man das nicht jeden Tag/jede Woche/jeden Monat einen 1982er Bordeaux im Glas hat. Für mich gehört der Jahrgang 1982 zu Recht zu den ganz großen Jahrgängen des letzten Jahrhunderts.
(Autor: Michael Herr, Bonn)