Große Rieslinge aus 2003 – wer wird „King Kaktus“?

Große Rieslinge aus 2003 – wer wird „King Kaktus“?

2003 – welch ein Sommer! Noch heute gilt er als unerreichte Benchmark für Qualität, wenn es Mitte Juli losgeht mit den Klagen über‘s mal wieder viel zu nasse, kühle und unbeständige Sommerwetter. Sehr früh wurde in jenem Jahr schon gemutmaßt, man habe es mit einem Jahrhundertjahrgang des deutschen Weines zu tun – heute sind zumindest Riesling-Winzer und -Freunde froh, dass uns ähnliche klimatische Extreme seither erspart geblieben sind. Überreife, schwache Säure, höchste Alkoholgrade, breit und mit unguten Bitternoten – so präsentierten sich viele 2003er bereits bald nach der Abfüllung. Dermaßen deutlich und verlässlich schien diese Typizität, dass so mancher Weinfreund die verfrühten Hymnen auf den Jahrgang in ihr Gegenteil verkehrte: Ein Jahr hervorragend geeignet zum Kaktusanbau sei das, mehr nicht. In Blindproben glaubte man entsprechende Vertreter bereits in der Nase eindeutig erkennen zu können.

Nicht selten jedoch ließ man sich aufs Glatteis führen: Desöfteren reihte sich in hochklassig besetzten Proben der Wein aus besagtem Jahr unerkannt in die Spitzengruppe des Abends ein, und der vermeintliche „typische 2003er“ stellte sich am Ende z.B. als Frühvergreister aus einem späteren Jahrgang heraus. Irgendwann, nach einer weiteren Probe mit Überraschungseffekt, war es dann genug: Klarheit musste her, mittels wissenschaftlich exakter Methodik wollten wir herausfinden, was 2003 wirklich kann. Gesucht wurde der „King Kaktus“, so der Arbeitstitel der Versuchsreihe.

alu_kleinEin Termin war schnell gefunden, das Regelwerk ergab sich von selbst: Ein trockener Riesling (plus X) pro Person, verhüllt angeliefert, sodann nummeriert und vom Gastgeber in eine zufällige Reihenfolge für die blinde Verkostung gebracht. Ein Jahrgangspirat war zugelassen. Der Runde war bekannt, welche Weine am Start waren, so dass man versuchen konnte, die Kandidaten zu identifizieren. Aufgedeckt wurde erst ganz am Ende.

Was würden wir herausfinden? Hatten wir 2003 grundsätzlich unterschätzt? Hatten wir bisher immer nur Glück gehabt mit Vertretern dieses Jahres? Welcher Wein würde sich als „King Kaktus“ der Wüstenklimate behaupten können?

1. Peter Jakob Kühn Mittelheimer St. Nikolaus Drei Trauben, 2004

kuehn2004_kleinRotgolden im Glas. In der Nase ein leichter Botrytistouch, Honigbonbon, Kräuter, etwas getrocknete Aprikose, im Hintergrund eine dezente Mineralik. Im Mund kräftig, trocken, mit konzentrierter Säure; alkoholstark, aber nicht brandig, eher sogar mit einem kühlen Mundgefühl; im Abgang Säure und Mineralik, Kräuter und Salz. Der Wein irritiert ein wenig, er wirkt noch verschlossen, wie wenn man an eine Wand stößt, rätselhaft, aber gut. Nicht sonderlich trinkig.

Erst beim Aufdecken stellt sich heraus, dass der Zufall den Piraten an die erste Stelle gesetzt hatte – und dann auch noch ausgerechnet einen mit Botrytis; ein schlechtes Omen für die Genauigkeit der weiteren Prognosen!

88-91+ Punkte, Durchschnitt 90,2


2. Wittmann Westhofener Aulerde Großes Gewächs, 2003

wittmann_kleinMittleres Gelb mit leichten Grünreflexen. In der Nase haben wir es mit einer ganz anderen Stilistik zu tun als bei Wein 1, ein „richtiges Großes Gewächs“ hört man: keine Botrytis, aber Kräuter, eine Sommerwiese, Heu, bei tiefem Einatmen macht sich eine gewaltige Mineralik bemerkbar; eine dezente gelbe Frucht, Zitrusnoten, die Fruchtsaite wird aber insgesamt zurückhaltend angeschlagen. Im Mund sofort viel Druck, dicht und trotzdem filigran, null alkoholisch; eine salzige Mineralität von vorne bis hinten und eine gewisse Restsüße vor dem sehr langen Abgang. Ein toller Wein, hier sind sich alle einig, die meisten finden ihn auch durchaus trinkig, nur einer aus der Runde empfindet die Stilistik als etwas anstrengend.

93-95 Punkte, Durchschnitt 93,9


3. Peter Jakob Kühn Mittelheimer St. Nikolaus Zwei Trauben, 2003

kuehn2003_kleinKräftiges, dunkles Gelb;. Eine sehr deutliche Maracuja-Frucht in der Nase, auch reifer Pfirsich, spürbarer Alkohol, Lösungsmittel und eine „gummiartige“ Mineralität, Kräuter. Im Mund zeigt sich ebenfalls schnell ein Alkoholtouch, daneben Kräuter, Lakritz und insgesamt einfach viel Wucht; im langen, aber etwas scharfen Abgang ist der Wein gleichzeitig leicht brandig und mineralisch. Allgemein finden wir ihn eher seltsam, einzelne aus der Runde fühlen sich zunächst sogar zu einem Totalverriss genötigt, um dann bei Nachproben im Verlauf des Abends ihr Urteil zu revidieren (Der Wein war ja auch erst 48 Stunden vor der Probe dekantiert worden…).

89,5-92 Punkte, Durchschnitt 90,7


4. Christmann Königsbacher Idig Großes Gewächs, 2003

christmann_kleinDiesem Wein wurde beim ersten Schnuppern am Glas sofort ein leichter Schlag (schleichender Kork?) attestiert; ein leichter Pappe-Ton in der Nase, Vanille und Kokos, eine verwaschene Frucht, nur etwas Zitrus erkennbar, etwas Alkohol. Der Alkohol ist auch im Mund spürbar, der Wein brennt fast, hat zwar Struktur, bleit aber ohne erkennbare klare Aromen. Schade, er lässt uns unbefriedigt zurück, wir sind sicher, dass mit der Flasche etwas nicht stimmt.

86-89 Punkte, Durchschnitt 87,7


5. Bürklin-Wolf Ruppertsberger Gaisböhl GC, 2003

bw_kleinGold-Gelb. In der Nase ein deutlicher Schwefeltouch, eine fast überreife Frucht (Honigmelone), etwas Rauch und kühle Mineralik. Im Mund eine schöne Säurestruktur und eine salzige Mineralität, wenig Frucht, vorne sehr straff, geht aber dann im weiteren Verlauf nicht ganz auf. Ein interessanter Wein, zum ganz großen Kino fehlt ihm sowohl ein wenig die Tiefe als auch die Länge.

89-92 Punkte, Durchschnitt 90,5


6. Dönnhoff Niederhäuser Hermannshöhle Großes Gewächs, 2003

doennhoff_kleinHier deutet sich schnell Großes an: In der Nase dicht, mit einer ziehenden Kräutermineralik und Zitrusnoten; das mag sehr knapp klingen, in der perfekten Balance dieser Noten lässt einem dieser Wein aber nich tmehr los. Im Mund ebenfalls dicht und konzentriert, Zitrusnoten, Kräuter, filigran und elegant, konsequent durchgezogene Mineralik, balancierte Säure. Wir sind hingerissen, die Kommentare reichen von „verbindet Kraft und Eleganz“ über „raffiniert“ bis „scheiße gut“.

95-96 Punkte, Durchschnitt 95,5


7. Heymann-Löwenstein Uhlen Blaufüßer Lay Erste Lage, 2003

loewenstein_kleinDunkles, auffällig rotstichiges Gelb. Sehr gereifte Nase, mit Tönen fast wie Käse. Im Mund eine Todessüße, etwas Kaffee, kaum Säure, schlichtweg platt; rätselhaft!

ohne Bewertung


8. Keller Westhofener Morstein Großes Gewächs, 2003

kleller_kleinHier fällt zunächst die heute Abend eher seltene, klare Spontinase auf, sie geht in herb-würzige Kräuter über und endet mit einer deutlichen Ahnung von Süße. Im Mund wird diese Ahnung Gewissheit, sofort macht sich die vermutete Zuckerspitze bemerkbar, daneben Zitrus und eine schöne Säure, alles elegant, aber nicht sonderlich tief. Im Abgang scheint der Wein etwas unpräzise und verwaschen, er wird allgemein als zu süß wahrgenommen.

88,5-90 Punkte, Durchschnitt 89,3


9. Georg Breuer Rüdesheimer Berg Schlossberg Erstes Gewächs, 2003

breuer_kleinEine sehr schöne, elegante Kräutermineralik und Feuerstein in der Nase, keine Frucht; bis hierhin zunächst aufgrund der Kargheit irrritierend, aber nicht uninteressant. Im Mund dann Zitrus und eine klare Säure, ansonsten wirkt der Wein aber deutlich angeschlagen, er ist bitter im sehr kurzen Abgang und die Teile nicht miteinander integriert. Bei dieser Flasche handelt es sich wohl leider um ein weiteres Korkopfer. Sehr schade.

ohne Bewertung


Welches Ergebnis brachte nun unseres aufopferungsvolle Untersuchungsreihe? Zunächst einmal müssen wir zähneknirschend konstatieren, dass wir an diesem Abend ungewöhnlich viel Pech hatten: Von den Weinen des Hauptprogramms waren zwei mindestens vom Kork beeinträchtigt bzw. zerstört (Idig und Schlossberg), ein weiterer war aus unerfindlichen Gründen tot (Uhlen B). [Dieses Pech setzte sich im Übrigen im Begleitprogramm fort, von fünf Süßweinen hatten weitere zwei eindeutig Kork.] Aus der deutlich geschrumpften Testgruppe lässt sich – wer hätte das aber auch erwartet? – kein eindeutiges Ergebnis hinsichtlich des Jahrgangs als Ganzem ableiten: Neben phantastischen Weinen stießen wir auch auf Enttäuschungen, Rätselhaftes oder eben Solides. Den Piraten aus 2004 hätten wir ohne weiteres als Vertreter des Jahres 2003 durchgehen lassen.

alle_kleinDer Titel des „King Kaktus“ vergeben wir nun also gerne an die raffinierte Hermannshöhle von Dönnhoff, dicht gefolgt von Wittmanns filigraner Aulerde. Hatten wir mit ersterem auf den vorderen Plätzen gerechnet, ist die Platzierung der Aulerde sicher eine kleine Überraschung. Im Mittelfeld folgen im Gleichschritt, jedoch mit Abstand die rätselhaften Kühns und der eigenständige Gaisböhl, die Schlusslichter waren an diesem Abend überraschend der schwache Morstein und der angeknockte Idig.

Trotz überraschender Ergebnisse und einiger Ausfälle ein gelungener Abend mit tollen Weinen (Dank an alle Mit-Probanden!), krustigen Crostini und vor allem einer Kartoffelsuppe, für die man bei nächster Gelegenheit auch unbedingt mal einen Titel erfinden sollte (Dank an unsere Gastgeberin!).

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