Rheinhessenprobe Riesling 20.11.2010

Rheinhessenprobe Riesling 20.11.2010

Rheinhessen im Jahr 1995 – eine weinmäßige Fast-Diaspora, in der sich mehr die Rübenbauern durch Qualität auszeichneten als es renommierte Winzer getan haben.Zitate aus dem Gault Millau des Jahres 1995 sorgen für Unterhaltung zum Beginn der Probe…

Rheinhessen im Jahr 2010 – kaum ein Stein ist zwischenzeitlich auf dem anderen geblieben, Winzergenerationen haben gewechselt – niemand würde heute noch auf die Idee kommen, die möglichen Qualitäten in diesem Weinanbaugebiet noch ernsthaft zu hinterfragen…

Auch Weinfreund Steffen nicht, der für die Bonner Weinrunde diese interessante Probe zusammen gestellt hat – es ging ihm dabei nicht um ein „höher-schneller-weiter“ und ein einsames Schaulaufen von Großen Gewächsen – nein, der Fokus sollte stattdessen auch auf den Rieslingen der „Winzer der zweiten Reihe“ liegen. Ohne natürlich die „üblichen Verdächtigen“ zu vergessen…

Probiert wurde blind, Hinweise zum Inhalt der Flights gab es wenige – Diskussionen umso mehr…

Wein 0: Weingut Winter, Kalkstein QbA 2009

Rauchige Spontinase, Mandarine, leichte Birnentöne, würzig, feinste Lacktöne. Alkoholstark. Auch leicht vegetabile Noten, an grünen Rosenstengel erinnernd. Im Mund cremige, leicht müde wirkende Frucht – fast wirkt sie etwas stumpf, es fehlt an Klarheit. Weiches Mundgefühl, im kurzen Nachhall meldet sich der Alkohol noch einmal zu Wort. Die Runde urteilt: nicht spektakulär, aber solide gemacht. Die Nase gefällt besser als die Mundeindrücke. 81 Punkte von mir, 82 bis 86 Punkte von der Runde (Durchschnitt: 84,60).

Der erste Flight führte uns in den Bereich Bingen:

Wein 1: Villa Bäder La Roche Riesling trocken, 2008

Leichter Acetonstich, Zitronentöne, kalkig, reife gelbe Frucht, leichter, unaufdringlicher Rosinenton, Weinbergspfirsich und junge Aprikose. Im Mund ein karger, recht kompromissloser Stil. Die Säure ist kernig und kräftig, der Wein gänzlich trocken. Wieder etwas Aceton am Gaumen; fester, mittlerer Körper. Strenges Mineral. Knapp mittellanger Nachhall, ohne höhere Ausschläge – etwas Apfelkern. Der Runde ist der Wein zu säurebetont, es fehle ihm etwas Frucht. Als Essenbegleiter zu Fisch könnte er aber überzeugen, so das Urteil. 83 Punkte von mir, 83 bis 86 Punkte von der Runde (Durchschnitt: 83,55).

Wein 2: Weingut Hofmann, Appenheimer Hundertgulden Spätlese trocken, 2008

Klare Zitrustöne, Spontinoten. Viel gelber Apfel. Jod. Im Mund fällt zunächst eine ungemein animierende Herbe auf, der Wein wird raumgreifend im Mund, eine nicht ganz trockene Frucht nach Zitrus und grünem Apfel prägen den Geschmack. Sehr mineralisch im Mund, zeigt eine frische, sehr schön eingebundene Säure. Sehr kieselsteinig. Dennoch mit gewisser Eleganz. Leider verschlankt sich der Wein im Nachhall merklich und wird hinten sehr knapp – schade, meint auch die Runde, denn die Anlagen hatten Potential für mehr. 85 Punkte von mir, einheitliche 85 bis 87 Punkte von der Runde (Durchschnitt: 86,27).

Wein 3: Weingut Bischel, Binger Scharlachberg, Riesling Spätlese trocken -S-, 2008

In der Nase cremige Zitrustöne, eine milde Orange. Etwas Kamille. Klar und spannungsgeladen. Im Mund eine leicht süßliche Frucht. Ein femininer Typ, sehr auf die Frucht bauend. Recht druckvoll, am Gaumen etwas Alkohol. Wirkt durch seine Süße leider etwas eindimensional. Die Süße ist es auch, die die Runde spaltet – je nach persönlicher Vorliebe wird sie als schon störend bzw. noch nicht zu viel empfunden. 85 Punkte von mir, 84 bis 88 Punkte von der Runde (Durchschnitt: 86,45).

Wein 4: Wagner-Stempel Siefersheimer Heerkretz Riesling GG 2008

„Eine tolle Nase“ ist die spontane Reaktion in der Runde… dies ist zutreffend, denn sie wartet auf mit rauchigen, malzige, auch an Cola erinnernde Noten, eine Frucht ist kaum exakt herauszuarbeiten, der Wein drönt sonor durch das Glas. Im Mund gelbe Frucht, kraftvoll in allen Belangen, aber wunderbar definiert. Den Wein durchziehendes Mineral, dazu Apfel und Ingwernoten, viel herbes Mineral. Extraktdicht, aber nicht schwer. Sehr lang, rauchig und druckvoll. Ein animierender Bilderbuch-Rheinhesse. 91 Punkte von mir, 86 bis 92+ Punkte von der Runde (Durchschnitt: 89,81).

Flight Nr 2: „Finde den Lagen-Piraten!“ Kläglich versagt hat die Runde, auf breiter Front… kann ja passieren.

Wein 5: Weingut Gunderloch, Nierstein Pettenthal GG, 2008

In der Nase ein leichter Spontiton. Eine ungewöhnliche Nase hat dieser Wein, erinnernd an weiße Johannisbeere, Feuerstein und rosa Grapefruit. Im Mund wird es dann seltsam, Malz und Alkohol spielen Armdrücken mit Korianderkörnern, dazu ein weiches, konturloses Mundgefühl. Die Runde ist in Teilen weniger irritiert, einig ist man aber insoweit, als der Wein durch seine Nase überzeugt und die Eindrücke im Mund wirklich nicht hinterher kommen. 82/83? Punkte von mir, 84 bis 86+ Punkte von der Runde (Durchschnitt: 85,16).

Wein 6: Weingut St. Anthony, Nierstein Pettenthal GG, 2008

In der Nase eine stumpf wirkende Botrytis, leichte Tramineranklänge an Rose und Honig. Buttrige Nase. Im Mund krontrastierend schwarzer Pfeffer, herbe Noten, Bienenwachs – ein insgesamt schwerer Stil. Wenig Frucht, dafür vom Alkohol getragen. Wieder Rosen. Wirkt sehr schwerfällig. Im mittellangen Nachhall kommen dann noch bittere Noten hinzu. Dadurch wirkt der Wein unausgewogen. Selbst dann, wenn man unterstellt, dass man hier eine völlig andere Art von Wein vor sich hat – Gefallen kann der Wein aufgrund seines zu dominanten Alkohols nicht. 82 Punkte von mir, 81 bis 84 Punkte von der Runde (Durchschnitt: 82,73).

Wein 7: Weingut Battenfeld-Spanier, Niederflörsheimer Frauenberg GG, 2008

Der bislang am deutlichsten ausgeprägte Schwefelton begegnet uns in diesem Wein. Er überdeckt nahezu alle Fruchteindrücke. Im Mund wenig Primärfrucht, deutlich feiner als sein Vorgänger, erneut ein leichterer Pfefferton. Hochkonzentrierter Stil, bleibt aber leichtfüßig, dies ist den Zitronen- und grünen Apfeltönen geschuldet. Sehr kräftige Säure, die die cremigen Nuancen gut ausbalanciert. Strukturierter, wenngleich leiser, aber lang tragender Nachhall. Die Runde diskutiert weitaus weniger, als es die vergebenen Punkte glauben lassen könnten. 88 Punkte von mir, 83 bis 89 Punkte von der Runde (Durchschnitt: 84,62).

Wein 8: Weingut Kühling-Gillot, Nierstein Pettenthal GG, 2008

Sehr rauchige Spontinoten, deutet scheu Mirabelle und rotwangigen Apfel an. Im Mund nicht ganz trockene Apfelfrucht, dunkle Beeren, insgesamt recht geschliffen. Kraftvolles, dunkles Mineral. Feinpfeffrige Pikanz im vollen Körper. Kraftvoll im Alkohol, aber noch balanciert. Zum Gaumen etwas reife Zitrone, wieder Pikanz. Mittellanger, noch junger Nachhall. Hat Potential, meinen auch die meisten Mittrinker der Runde. 89+ Punkte von mir, 84 bis 89+ Punkte von der Runde (Durchschnitt: 86,10).

Weiter ging es im „Spätlesen zu 15 Euro-Flight“:

Wein 9: Weingut Keller Riesling von der Fels trocken, 2008

Eine leicht kreidige, mehr aber noch vom Haselnuss-Noten geprägte Nase, verhalten ergänzt mit Zitrus und leicht floralen Noten. Im Mund saftiger als erwartet, wieder Haselnuss, viel Zitrus und Mineral. Herbe Kräuter. Die Säure ist fast resch, steht aber nicht sonderlich vor. Sehr gute Länge. Die Runde sieht den Wein als zu jung, ist aber merklich irritiert über die im Glas vorgefundenen Haselnuss-Geschmack. Scherzbolde könnten jetzt noch sagen, hier müsse ein Allergie-Hinweis aufs Etikett… die Runde lässt das und vergibt lieber einheitliche 85-87 Punkte (Durchschnitt: 86,44).

Wein 10: Weingut Koehler, Alzeyer Rotenfels Riesling Spätlese trocken, 2008

Eine kristaline Nase, sehr fruchtbetont zugleich, mit Birne, Maracuja und Mango. Verhalten auch grüne Paprika und eine leichte Honignote. Insgesamt sehr jugendlich und frisch. Im Mund Maracujapüree, viel herbes Mineral, dass gegen die exotische Zitrusfrucht steht. Dunkle Beeren. Frische und kraftvolle Säure, fügt sich harmonisch in den nicht ganz trockenen Gesamtauftritt ein. Leichte Salzigkeit, leider auch alkoholstark. Am Gaumen lang und druckvoll. Der Wein sei in seiner Jugend noch schwer zu bewerten, meint die Runde. Potential sehe aber viele. 87 Punkte von mir, 86 bis 89 Punkte von der Runde (Durchschnitt: 87,20).

Wein 11: Weingut Winter Dittelsheimer Leckerberg Riesling Spätlese trocken, 2008

Auch in dieser Nase Sponti-Töne, Malz, dahinter feine Zitrustöne, sehr kontrastreich. Jod. Kräutertee. Marsala. Im Mund mürber Apfel, Jod, etwas dunkle Bitterschokolade; wirkt straff, vermittelt dennoch eine gewisse Leichtigkeit. Eine kräftige Mineralität weiss zu gefallen, am Gaumen zeigt sich dann aber ein leichter Zuckerschwanz, der hier irritierend wirkt, jedenfalls für einige Teilnehmer. Hinterlässt einen cremigen Film am Gaumen, mittellanger Nachhall. Trockener hätte der Wein wohl noch etwas besser gefallen, urteilt die Runde. 87+ Punkte von mir, 87 bis 90+ Punkte von der Runde (Durchschnitt: 88,36).

Wein 12: Weingut Wittmann, Westhofener Riesling trocken, 2008

In der Nase leichte Spontinoten, eine füllige, gelbfleischige Frucht. Sehr satt, lässt eine cremige Frucht erahnen. Weniger komplex als der Vorgängerwein.

Im Mund viel Extrakt, Zitrus, viel Kräuter; wirkt recht gefällig, ja fast etwas glattgebügelt. Allein eine leicht vorstehende Zitrussäure sorgt für Abwechslung im Mund, wenngleich sie auch nicht jedem gefällt. Die Runde bemängelt insbesondere, dass man kaum Mineralität vernimmt. Positiv ist aber, dass der Alkohol nicht vorsteht. 86 Punkte von mir, 86 bis 90 Punkte von der Runde (Durchschnitt: 88,81).

Wein 13: Weingut Gunderloch, Nackenheim Rothenberg Riesling GG, 2005

Bis dahin war die Runde noch zufrieden mit dem Protokollanten, nun aber wurde ihm doch die ganz einsame Mindermeinung zuteil. Eine von kraftvollen Spontitönen, Rauch und verbranntem Holz dominierte Nase. Soweit noch Einigkeit. Im Mund wird der Eindruck gänzlich dominert vom süßen Zuckereindrücken, der die sicherlich dereinst vorhandenen Nuancen wie mit einer Sirupschicht überdeckt. Darunter (!) Malz, herbe Töne, wieder Rauch und etwas Salz. „Glasierte Aprikose“ bekomme ich auf Nachfrage nach der dominierenden Frucht zugerufen. Mehr kommt nicht. Das sei Kommentar genug. Mittellanger, dank des hier auch vorherrschenden Zuckerfeelings eindimensionaler Nachhall. 84 Punkte von mir, 87 bis 91 Punkte von der den Teer bereits aufkochenden Runde (Durchschnitt: 89,08).

Wein 14: Weingut Keller, Westhofener Morstein GG, 2006

In der Nase ein leichter, nicht störender Acetontouch, Kräuter, eine etwas vanillige Bisquitcreme, Thymian und Mandarine. Man ahnt Mineralität. Im Mund ein leicht fülliger, cremiger Stil. Warm, kontrastriert durch herbe Noten, seine Botrytis ist merklich. Extraktsüße. Johannisbeere und Malz. Auch Brotkruste. Wirkt noch etwas verschlossen. Ein sehr kraftvoller Stil (auch im Alkohol), wirkt aber nicht plump, sondern immer noch balanciert. Dürfte sich mit einigen Jahren weiterer Reife schön öffnen. 89/9o+ Punkte von mir, 90 bis 93 Punkte von der Runde (Durchschnitt: 91,80).

Wein 15: Weingut Wittmann, Westhofener Morstein, 2006

Eine tiefgründige, klare und Kühle vermittelnde Nase, kristalin und moosig, man ahnt eine leicht herbe Steinfrucht. Im Mund anders als der Vorgänger, schlank, mineralisch voll durchgezeichnet, pur und tief, Assoziation an feine Zitronencreme vermittelnd, eine ganz leichte, dienende Extraktsüße sorgt für Charme. Eine kraftvolle, voll eingebundene Säure sorgt für Frische. Kühles, dunkles Mineral. Am Gaumen lang und druckvoll, viel kühlende Zitrone. Hat volle Trinkreife. 93 Punkte von mir, 89 bis 93+ Punkte von der Runde (Durchschnitt: 90,10).

Wein 16: Weingut Battenfeld-Spanier, Riesling CO, 2006

Zum Abschluss noch ein weiteres Schisma. Aber diesmal wurde der Protokollant wenigstens sekundiert. In der Nase Fenchel, eine hochtönige, botrytislastige Frucht. Viel Rauch, dahinter Mandarine, auch Melone wird genannt. Nasaler Alkohol. Im Mund (zu viel) Botrytis, etwas dunkle Mineralität, mehr herb-alkoholisch und bittere Töne. Der Wein erscheint von der Struktur wie eine durchgegorene Beerenauslese. Etwas Aprikose, die Frucht wird aber umgehend durch Rauch, eine Assoziation an ätherische Öle und einen bitter-dominanten Alkohol überdeckt. 13% sagt das Etikett. Leiser Zweifel diesbezüglich. Die Säure ist kantig kräftig und steht unharmonisch vor. Ruppige Rosinentöne wollen versöhnen. Viel Struktur bei wenig Harmonie. Wieder Rauch und etwas Salz. Nicht sonderlich ausdiffenzierter, vom Alkohol beeinflusster, aber doch deutlich mittellanger Nachhall.

Die Runde ist weitaus weniger kritisch mit diesem Wein – klar, der letzte Wein muss ja auch der Beste sein… Aber nein, Schluss mit der Polemik, jeder fröne bitte gerne seinem eigenen Geschmack. Und dies ist durchaus ein Wein, der für Unterhaltung taugt, keine Frage… 84 Punkte von mir, 84 bis 92 Punkte von der Runde (Durchschnitt: 89,10).

Fazit: Was hat uns die Probe gezeigt? Noch stehen die „Zweitreihen-Winzer“ zu Recht im Schatten der Gebiets-Granden. Gewinner der Probe sind mit Keller, Wagner-Stempel und Wittmann die bekannt Altforderen… aber die Abstände sind durchaus geringer geworden – es besteht insofern kein Grund, erst in 15 Jahren wieder in der zweiten Reihe zu testen.

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