Riesling 2004 – phantastisch oder phenolisch?

Riesling 2004 – phantastisch oder phenolisch?

Nach der spannenden Jahrgangsverkostung 2003 mit dem Arbeitstitel „King Kaktus“ im letzten Sommer fand man sich in diesem Sommer wieder zusammen, um dem Folgejahrgang nach dem zugegeben etwas zugespitzten Motto „Riesling 2004 – phantastisch oder phenolisch?“ an die Kapseln zu gehen.

2004 stand/steht bei manchen Weinfreunden/professionellen Weinverkostern ja für einen durchaus schwierigen Jahrgang – phenolische Bittertöne „noch und nöcher“ hätten Sie in allerlei Weinen in deren Jugend vermeintlich entdeckt, so war es zu lesen… das Unwort der „Jahrgangsproblematik“ kreiste einmal mehr…

Phenolischen Weinen werden im Allgemeinen die Attribute „rauh, bitter, zu stark adstringierend“ zugesprochen. Also allesamt Eigenschaften, die einem den Genuss verleiden können. Das wollten wir uns doch einmal näher betrachten – ungeachtet natürlich der persönlichen Toleranzschwellen (was für den Einen noch eine animierende Herbe ist, mag dem Anderen schon eine deutliche Bitterkeit sein). Insofern stellten wir uns auf fröhliche und angeregte Diskussionen ein, wenngleich die Weine nicht extra exakt so zusammen gestellt wurden, weil ihnen in der Vergangenheit eine phenolische Beeinträchtigung attestiert wurde… „Mal sehen, was wir da so an „Jahrgangsproblematik“ vorfinden“ lautete vielmehr der gemeinsame Ansatz…

Noch kurz einige Worte zum Ablauf der Verkostung. Wie auch im letzten Jahr galt: ein trockener Riesling 2004 pro Person (oder so ähnlich), verhüllt angeliefert, vor Ort dann nummeriert und von der Gastgeberin in eine zufällige Reihenfolge für die blinde Verkostung gebracht. Der Runde war diesmal nicht bekannt, welche Weine die übrigen Teilnehmer mitbrachten, ich selbst kannte nur die Weingüter. Und das auch nur zum Teil.

Verkostet und bepunktet wurden die Weine in einem großen blinden Flight –  dann gab es etwas Leckeres für die Hüften. Da kurzfristig zwei Probanden leider absagen mussten, blieb für die sechs punktenden Probanden genug Wein in der Flasche für eine Hin- und Rückverkostung der im Vorfeld ausreichend belüfteten Weine. Aufgedeckt wurden die Weine somit jeweils vor der Rückverkostung…

Und nachdem wir unsere Kinnladen nach dem Aufdecken des ersten Weines der Rückverkostung wieder eingesammelt hatten, hatte diese Art der Verkostung durchaus einen ansteigenden Genussfaktor…

Nachfolgend die Weine in der Reihenfolge der Hinverkostung:

1. Peter Jakob Kühn Oestrich Doosberg Drei Trauben, 2004

Der Doosberg liegt mit einem dunklen Goldgelb im Glas. „Du bist aber schon sicher, dass wir keinen Piraten dabei haben?“ War ich. Soweit mein Wissen um die angestellten Weine reichte. Die Frage ist für mich aber nachvollziehbar, der Wein wirkt sehr eigenständig und erinnert einen nicht an „klassisch-urdeutschen Riesling“. Kühn halt. Kräuter, frisch gezupfte Kamille, etwas ätherischer Zitrusabrieb. Kaum Fruchtnuancen in der Nase, dafür Erdigkeit und Kräuter. Etwas oxydativer Stil. Im Antrunk Malz, Kräuter, der Wein wirkt sehr extraktreich. Und zuckerfrei. „Knochentrocken“ heisst es. Was den Wein wirklich nicht als Charmeur erscheinen lässt, zumal die Fruchtnoten weiterhin sehr zurückgenommen sind, sie blitzen nur verhalten durch mit etwas Maracuja und Grapefruit.  Ein leicht herbes Mineral. Der Alkohol (13,5%) ist perfekt maskiert. Die Säure steht am Gaumen etwas vor, bevor der Wein würzig-herb und deutlich mittellang nachhalt. Manchen ist das an Eigenständigkeit ein wenig zu viel – ich fand den Doosberg ein weiteres Mal hochspannend- als Essensbegleiter zu Fisch können sich die Probanden den Wein aber allesamt gut vorstellen.

Puristisch: ja. Phenolisch: nein.

89 Punkte von mir, 87-90 Punkte von der Runde (Schnitt: 88,10)


2. Knipser Dirnsteiner Mandelpfad „Himmelsrech“ Großes Gewächs, 2004

Der Zufall brachte uns einen deutlichen Kontrast ins Glas:

Strohgelbe Farbe. Laute und expressive Nase, es bollert schier aus dem Glas, mit cremiger Maracuja/Orangenfrucht, die üppig Raum greift. Hebt an wie ein Bariton-Männerchor. Man ahnt bereits hier die Mineralik.

Im Antrunk saftig und oppulent, wenngleich etwas weniger barock als in der Nase, die frische Säure puffert den Extrakt. Zitrusnoten, Jod, Kräuter, eine feine Cremigkeit, ein zum Gaumen hin schärfendes Mineral. Sehr druckvoller Stil, ein Wein zum Kauen. Wenn die Säure nicht wäre, würde der Wein aus den Schienen laufen. Deutlich mittellanger Nachhall, hier nochmals schärfend – jedoch von der Mineralik, nicht vom Alkohol. Insoweit Einigkeit bei den Probanden. Wer schlanke Weine bevorzugt, wird hiermit nicht glücklich. Und nur der Säurestruktur ist es zu verdanken, dass auch die Übrigen diesem Boliden etwas abgewinnen konnten.

Phenolisch? Nichts ist hierzu festzustellen.

89 Punkte von mir, 87-91 Punkte von der Runde (Schnitt:89,1)


3. Keller Dalsheim Hubacker Großes Gewächs, 2004

Strohgelb. Schüchterne, aber mit feiner Komplexität versehene Nase mit Anklängen an Steinfrucht, rotem Apfel und Vitamin-C-Traubenzucker. Kühl und dunkel deutet der Wein seine Mineralität an.

Im Antrunk rund und sehr balanciert, eine feine Extraktsüße, recht schlank, wieder Apfel und etwas herb-kräutrige Noten. Der Runde gefällt der Wein aufgrund seiner Ausgeglichenheit, seine frische Säure verleiht ihm ein schönes Spiel. Langer Abgang, im dem sich neben leicht salzigen Eindrücken auch ein verhaltener Bitterton zeigt. Dieser ist aber von einer Intensität, die dem Wein gut zu Gesicht steht.

Der Wein ist insgesamt mehr von seiner Frucht als von mineralischen Akzenten geprägt – die Nase lies dies so nicht erwarten. Die erste Benchmark des Abends.

Phenol? Na, da müßte man schon überempfindlich sein, um dieses Attribut hier zu bemühen. Passt nach obiger Definition nach meiner Meinung nicht.

92 Punkte von mir, die Runde vergibt 91-93 Punkte (Schnitt: 91,83)


4. Benderhof Kallstadter Saumagen „Selection“, 2004

Helles strohgelb. Grüne Fruchtgummi-Apfelringe! Dies ist das tragende Leitmotiv der Nase. Artifiziell. Dazu etwas Rauch, ein floral-kamilliger Ton, ein wenig nasaler Alkohol. Seltsam.

Indifferent im Mund, wieder künstliche Apfelringe, etwas dreckiges Mineral, eine leichte Restsüße, die hier als deplatziert empfunden wird. Am Gaumen mit rustikaler Säure, die hier merklich vorsteht, knapp mittellang.

Auch wenn der Wein in der Rückverkostung noch etwas zulegen konnte – wir sind nicht sonderlich begeistert. Phenolisch? No, Sir.

84 Punkte von mir , 84-85 Punkte von der Runde (Schnitt: 84,84 Punkte)


5. Koehler-Ruprecht, Kallstadter Saumagen Spätlese trocken, 2004

Der Zufall führte uns unmittelbar zum nächsten Saumagen. Was wir aber nicht erkannten. Zu unterschiedlich waren doch diese beiden Weine:

Dunkles strohgelb. Die Nase ist oxydativ, muffig-moosig, Zitrus, etwas nasser Stein. Ansonsten fruchtfrei, immer wieder oxydativ.

Im schlanken Antrunk Tabak, Malz, Jod, Trockenkräuter. Herbes Lakritz. „Altes Fuderfass“ – geschmacklich nicht ganz sauber. Leichte Salzigkeit. Im Übrigen ohne erkennbare Frucht. Zu Diskussionen führt die Säure, denn diese erinnert stark an Zitronensäure. Und wirkt auch am Gaumen etwas kratzig. Eher uncharmant.

Aufgrund seiner Stilistik sicher als Koehler-Ruprecht zu erkennen. Und nur einem Probanden hat dieser Wein richtig gut gefallen – wahrlich kein Vergleich zu den bewegenden trockenen Auslesen von diesem Weingut.

Phenolisch? Niente.

84 Punkte von mir, 83-89 Punkte von der Runde (Schnitt: 85,33)


6. Emrich-Schönleber Monziger Frühlingsplätzchen GG, 2004

Eine im besten Sinne karge Nase nach frischen Kräutern, Zitrus und Orangen. Karg, aber tief. Braunes Mineral. Rauch. Im Antrunk sehr präzise, grüne Kräuter, Zitrusnoten, eine prägnante, fast schon vibrierende Mineralität, hohe innere Spannung; Kräuter und Mineralität sind hier die Taktgeber. Vergleichsweise zurückgenommen und schlank ist die Zitrusfrucht – der Wein bleibt immer sehr trinkig. Grasig-herbes Mineral. Langer Abgang.

Phenolisch? Man ahnt es schon… auch beim knappen Gewinner des Abends nach Punkten hinter dem Komma: volle Fehlanzeige.

92 Punkte von mir, 91-93 Punkte von der Runde (Schnitt 91,90)


7. Rebholz Siebeldinger „Im Sonnenschein“ GG, 2004

Würzig pfeffrige Nase, dahinter schlank Apfeltöne, Zitrus, eine faszinierende „Eisbach-Kühle“, etwas Kreutzkümmel. Sehr strukturierter Naseneindruck.

Im Antrunk wieder pfeffrige Nuancen, schlanker Stil, Zitrustöne, wirkt sehr trocken mit kräftiger Säure. Die würzigen Pfeffernoten nehmen dem Wein ein wenig von der im übrigen schon vorhandene Eleganz, manchen Probanden am Tisch stören sie sensorisch. Endet lang unter Fortsetzung des Mundeindruckes.

Phenol? Gute Frage! Aber: nein.

91 Punkte von mir, 88-91 Punkte von der Runde (Schnitt: 89,58)


8. Künstler Hochheim Hölle Goldkapsel trocken, 2004

Und schon wieder ein Hölle-Goldkapsel-Desaster. Diesmal zwar keine „Tränen auf der Tastatur“ des Verkosters von Weinplus, gleichwohl mit 98-100 Punkten eine absolute Spitzenbewertung (!) von ihm (vergeben im Mai 2005).

Doch so langsam bekomme auch ich feuchte Augen, wenn ich an den Zustand der Weine aus 2002 und insbesondere nun aus 2004 in unseren Gläsern bei unseren Proben zurückdenke:

Dieser Wein, als Wein Nummer 8 vom Schicksal ans Ende unserer Verkostung gestellt, war uns keine 100 Punkte wert, keine 98, keine 95, keine 92, keine… ich könnte das fortsetzen, kürze stattdessen aber ab: es waren im Schnitt: 83,17 Punkte. BAMM! Kinnlade.

Und nochmals: wir tranken blind. Niemand außer dem Ansteller wußte um diese Goldkapsel, denn der Wein wurde mir schlicht als „Künstler“ lagenfrei angekündigt…

In der üppigen, aber verwaschen wirkenden Nase Multivitaminbonbon, etwas Apfelkuchen, Cassis, mit einem Hang zur Oppulenz. Kraftvolle Mineralität voraussagend. Aber wenig bewegend… Im Antrunk diffus, voller Körper, plumpe und schwerfällige Frucht nach Pfirsich und Maracuja, kaum Mineral, süßliche Noten,  zum Gaumen hin immer mehr bitter(!) werdend, kräftiger Alkoholstich, milde Säure. Hier passt insgesamt wenig bis gar nichts (mehr) zusammen, der Wein bricht am Gaumen auseinander. Knapp mittellanger, wieder etwas alkoholischer Abgang.

Mit dieser „Performance“ das ungefährdete Schlußlicht unserer Probe – gleichbleibend (bitter!) auch bei der Rückverkostung.

„Ja, ja, endlich“, werden Sie vielleicht denken. Da ist es doch, das Phenol-Problem. Am Tisch hatten wir aber einen ganz anderen Verdächtigen, wer die „aromatische Kathedrale“ (2005) zwischenzeitlich wohl eingerissen hat: der Plastekork aka Nomakork. Ein Wiederholungstäter, augenscheinlich. Günther Künstlers Kunden können sich deshalb wirklich glücklich schätzen, dass die GK-Hölle ab Jahrgang 2005 wieder mit einem klassischen Kork versiegelt wurde… da nimmt man doch auch gern mitunter mal einen Korker in Kauf als sowas…

83 Punkte von mir, 82-85 Punkte von der Runde (Schnitt: 83,17)


9. Leitz Rüdesheimer Berg Roseneck Spätlese, 2004

Zum Abschluss noch eine zum Jahrgang passende Notiz der Abteilung „restsüß“:

Schlanke Nase, ein erster Hauch Petrol. Dahinter eine klare, gelbfruchtige Nase mit etwas Apfeltönen. Im Antrunk mit einer rheingauisch kräftigen Säure, die aber den Kontakt zur Frucht nie verliert. Tänzelnd. Rauchige Noten umfassen die Pfirsich- und Apfelfrucht, der Wein hat viel Spiel, gute Tiefe. Mineral. Hoher Trinkfluß, da die moderate Süße nicht klebrig wird. Nix Zuckerwasser – das ist restsüßer Riesling der kernigen Art – sehr, sehr schön!

91 Punkte von mir (Punkte der Runde habe ich nicht notiert)


FAZIT: Wenn man nochmal zurück zur Ausgangsfrage „Riesling 2004 – phantastisch oder phenolisch?“ geht, lautet die Antwort kurz und knapp: weder noch! Einige solide und einige wirklich schöne Weine, mit Keller und Emrich-Schönleber waren die vermuteten Verdächtigen an der Spitze… aber „phantastisch“ ist dann auch etwas anderes.

Und phenolisch war es halt auch nicht – wenngleich unser kleines Lineup auch nie den Anspruch haben sollte, repräsentativ zu werden… aber der eine oder andere 2004er liegt ja noch in den Kellern, sodass die Beantwortung der Frage auch dezentral fortgesetzt werden kann…

Ein netter Abend jedenfalls, eine Fortsetzung der Jahrgangsreihe im kommenden Spätsommer wurde bereits noch vor Ort eingefordert… geht klar! (Guido)

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