Riesling Jahrgangsprobe 2005
Das Jahr 2005 galt nach der Ernte schnell als herausragender Überjahrgang. Nicht nur marktschreierische Händler lobten das Jahr über den grünen Klee, auch in Journalistenkreisen war es zu lesen: Ein großes Jahr sei hier in die Keller eingefahren worden. Nun, wo steht der Jahrgang acht Jahre später? Die trockenen Rieslinge haben im achten Jahr der Reife ihre Balance gefunden –- dies, nachdem sie sich doch vorangehend eine Zeit lang als zu füllig und undefiniert gezeigt hatten. Diese Erkenntnis stützt sich nicht nur auf diese Verkostungsreihe, sondern auf eine Mehrzahl weiterer 2005er, die zwischenzeitlich zum Probieren anstanden. Wir hatten vorher dennoch gewisse Bedenken mit dieser Jahrgangsprobe — ob hier Spaß aufkommen sollte?
Ich nehme es vorweg, wir hatten Spaß –- was aber nicht darüber hinwegtäuschen soll, dass es einen gewaltigen Unterschied machen kann, ob man diese Weine „in einer Reihe“ verkostet oder ob man einen fülligen 2005er in einer Reihe mit schlankeren Weinen aus anderen Jahrgängen antrifft. Einmal mehr zeigt sich hier die (eigene) Erkenntnis, dass jeder vorangehende Wein einen unterschwelligen Einfluß auf den nächsten Wein nehmen kann. Und ich schreibe „kann“ und bewusst nicht „muss“ — man sollte sich diesen Gedanken nur regelmäßig in Erinnerung rufen. Dies hilft vielleicht darin, den nächsten Wein ein wenig besser und objektiver einordnen zu können.
Aber zurück zu 2005 — ist dieser Jahrgang ein Langstreckenläufer für trockene Weine? Der Süßegrad so mancher Weine könnte dafür sprechen, und auch genug Säure hat der Jahrgang durchaus. Genug, aber auch nicht übermäßig viel, in der Breite jedenfalls; der Jahrgang ist wohl als absolut ausgereift zu bezeichnen, die Weine sind eher kräftig als schlank, der Alkohol eher im oberen Bereich. So jedenfalls der verallgemeinernde Eindruck, mit durchaus Unschärfen, keine Frage.
Zusammenfassend bleibt bei mir eine gewisse Skepsis zum Jahrgang 2005 zurück –- ich habe für mich die Erkenntnis gewonnen, die trockenen Weine nun eher jung trinken zu wollen als sie großzügig für das nächste Jahrzehnt anzupeilen. Echte Notwendigkeit zur Eile ist aber nicht geboten –- und die Entscheidung des Zeitpunkt des Öffnens solcher Weine ist oftmals auch eine Frage der persönlichen Vorlieben. Jahrgang 2005 wird seinen Nachfolger 2006 in der Breite jedenfalls überleben, soviel Vermutung sei gestattet.
Wein 1: Weingut Bassermann-Jordan Forster Kirchenstück 2005
Kraftvolle und drückende Nase mit Nuss-Spuren, Rauch und Kaffee. Dunkle Würze, die Frucht ist gereift und erinnert am Ehesten an saftige Aprikosen. Dunkle Brotkruste rundet das Bild ab. Im Antrunk ein Bolide von Wein, Mittelhaardt-Power-Pack, im druckvollen Mund kaum mehr (gelbfleischige) Frucht vernehmbar, hier geprägt von einer Nuss-Rauch-Aromatik, auch dunkler Nougat, röstig rauchig. Der Wein ist im positiven Sinne „druckvoll anstrengend“. Er zeigt eine feine Säure, die den Körper ganz durchzieht. Endet deutlich mittellang auf einer feinen salzigen Note. Mir gefällt dies gut, weil auch der Alkohol gerade noch eingebunden wird. Die Fruchtfraktion winkt hier ab, zu mächtig sei das. 91 GM-Punkte, die Runde punktet weniger überzeugt und setzt den Wein auf einen Platz im Mittelfeld.
Wein 2: Weingut Martin Müllen Kröver Paradies Spätlese trocken 2 Sterne 2005
Große Augen beim Aufdecken – heute Abend war dieser Wein der unerwartete Gewinner. Nicht nur der Runde sondern auch mir gefiel der Wein mit einer sauberen Botrytisnase, feinen Orangennoten und einem packenden, vibrierenden Mineralspiel. Im Antrunk röstiges Brot, ein fein eingebundene Honignote, fast kalkig anmutend (was keinen Sinn ergibt, denn der Wein wächst nicht auf Kalkböden); tänzelnd; eine echte Schau die feinporige Säure, die sich durch den ganzen Körper zieht und mit der feinsinnigen Orangenfrucht verwoben ist. Dann wieder kippt der Wein in einen mineralischen Abgrund, es ist eine Freude, hier dem ausbalancierten Verlauf zu folgen. Ein perfektes Spiel von Frucht, filigranen Salzigkeit und Säure. Letztere ist einfach mundwässernd. Lang, strukturiert und verspielt zu gleich. Überzeugte 94 GM-Punkte (und auch von der Runde Platz 1 in der Gesamtbewertung).
Wein 3: Weingut Clemens Busch Pündericher Marienberg 3 Sterne 2005
Der Zufall wollte es, dass nach dem Müllen ein weiterer Moselaner ins Glas kam. Aber trotz geographischer Nähe hatte dieser Wein nichts mit seinem Vorgängaer gemein. Eine überreife Nase, nicht ganz frei von Lacknoten, eine Spur oxidativ. Wenig ansprechend. Im Mund ein behäbiger, extraktreicher Wein mit Aromen von Orange, weißer Johannisbeer-Marmelade, Kräutern. „Breit“ sagen die Mitrinker – und haben damit nicht unrecht. Wird anstrengend wärmend im deutlich mittellangen Finale. Dies ist eine Stilistik, die man schätzen muss. Die Runde tut dies nicht und vergibt einen der hinteren Plätze, mir ist der Wein heute für 86 GM-Punkte gut.
Wein 4: Weingut Emrich-Schönleber Monzinger Halenberg GG 2005
Eine tiefe Nase nach Cassis und Feuerstein, grüne Apfelschale, deutet eine animierende Mineralik an. Die Nase ist gelungen und macht Vorfreude auf den ersten Schluck. Dieser ist fein, der Wein bleibt im gesamten Verlauf schlank und recht rassig. Aromatisch mit Zitruszesten, Apfelschalen und einer feinen Pfirsich-Tabaknote. Transparent und straff. Wirkt fast noch etwas jugendlich, bevor er mineralisch lang ausläuft. Übereinstimmend sieht die Runde hier noch Potential, auch von mir eine Wertung mit Luft nach oben, 91+ GM-Punkte (Platz 5 in der Gesamtwertung des Abends).
Wein 5: Weingut Hirtzberger Singerriedel 2005
Dieser Pirat war gänzlich neben der Spur – vermutlich haben wir ihn einige Jahre zu früh geöffnet. Oder er ist in 2005 einfach nicht überzeugend. Waren die Aromen in der Nase (hochreife, leicht dörrobstige Aprikose, Ahnungen vom dunklem Stein) noch halbwegs stimmig verbunden, geht im Mund recht wenig bis gar nichts zusammen. Gänzlich dominiert von einer reschen Säure zeigt der Wein hochreife Aromen gelber Früchte, auch Botrytis zeigt sich, der Begriff „trockene Beerenauslese“ fällt am Tisch, uncharmant die Mineralik, die fast pfeffrig wird. Leider auch wärmend vom Alkohol. Und immer wieder eine kratzige Säure. Nein, Trinkvergnügen ist ganz anders. 84 GM-Punkte (und auch die Runde verweist den Wein auf einen zu vernachlässigenden Platz). Time will tell.
Wein 6: Weingut Wagner-Stempel Sieversheimer Höllberg GG 2005
Straffe und klare Nase, geprägt von Zitrus und Tabak, Feuerstein und einer an Dill erinnernden Kräuternuance. Sehr animierend. Im Mund kraftvoll, aber ohne aufdringliche Süße, Zitrus, rosa Grapefruit, der Fruchtextrakt wird im Verlauf abgeräumt von einer Säure-Salz-Mixtur, die dem Wein nochmal Zug und Rasse verleiht. Im Finale ungemein viel Tabak. Ein komplexer, rassiger Wein, der lang verhallt. 93+ GM-Punkte (Platz 3 am heutigen Abend).
Wein 7: Weingut Knipser Steinbuckel 2005
In der Nase druckvoll, aber distuguiert, dunkle Beeren, etwas Rauch und Kümmel, fast eine Spur Schokoschmelz. Kakaoig auch der Antrunk, dicht gepackt, aber befreit von unnötiger Süße. Der Wein hat zwar Extraktsüße, diese passt aber schön ins Bild und wird von einer knackigen Säure, die bestens eingebunden ist, abgepuffert. Rauchig im Verlauf, auch ein Hauch Kaffee… bevor der Wein dann lange und mineralisch differenziert ausfächert. Sehr überzeugend. 93 Punkte, nur knapp an Platz 3 der Gesamtwertung vorbei geschlittert.
Wein 8: Weingut Künstler Hochheimer Hölle EG 2005
In der Nase leicht tropisch, druckvoll; Mango und kalter Rauch bestimmen hier die Aromatik. Es scheint etwas Botrytis im Spiel zu sein. Im Mund fällt die pikante Säure auf, die dem Wein einen Stempel aufgibt. Schlank, Zitruszesten, auch die erste Reifetöne, Malzbonbon. Leider nicht so vielfältig im Verlauf, Zitrus und Malz geben die Richtung vor und geben dem Wein eine enge Ausprägung, die passt aber. Leichte Cremigkeit im stimmigen, mittellangen Finale. 88 GM-Punkte, auch von der Runde, in der Gesamtwertung damit heute doch schon auf den hinteren Rängen.
Wein 9: Weingut Leitz Rüdesheimer Berg Schlossberg
Leider war dieser Wein nicht intakt – denn eine säuerliche Ketchup-Aromatik sollte dieser Wein normalerweise nicht haben. Auch eine Mischung von rotem Apfel und Majoran sorgten nicht für Harmonie. Im Mund nochmals roter Apfel, aber wieder die aus der Nase bekannte verschobene Aromatik. Daher mein Verdikt: wohl Flaschenfehler, keine Bewertung. Schade.
Wein 10: Weingut Keller Morstein 2005
Der Wein hat eine schöne Entwicklung genommen. Noch vor zwei Jahren nahezu adipös untrinkbar, hat sich der Wein nunmehr gut gefunden. In der druckvollen Nase eine leichte Röstigkeit, Apfelnoten, rosa Pfeffer, ein Hauch Lack, der aber in Kaffee-Aromen übergeht, braucht nur etwas Zeit im Glas. Charmant und trinkfreudig, wie so oft bei Kellers Weinen, der Antrunk, mit Apfel, Rauch und etwas Krokant. Dichter Körper, aber schön gestützt von einer pointierten Säure. Klar in seiner Frucht, erst im Verlauf wird der Wein deutlich mineralischer. Stoffig-elegantes Finish, erste Reifetöne, betont mineralisch. 93 Punkte (Platz 2 im Rundenschnitt).
Wein 11: Weingut von Othegraven, Kanzemer Altenberg 2005
Von diesem Wein sind zwei Füllungen im Markt, dieses ist die trockene Fassung. Eine drückende, hochreife Nase, wärmend stechend, Dörrapfel und dunkler Tabak. Im Antrunk mit tropischer Note, etwas Kamille, die Frucht ist reif und satt. Der Alkohol ist hitzig und des Guten auch zuviel. Schiefermineralität und kandierte Orangen können leider nicht dafür sorgen, dass man überzeugt zum Glas greift, denn der Wein wirkt mit seinen etikettierten 14 Volumenprozent schon fast brandig. 84 GM-Punkte (auch die Runde kommt hier nicht klar und wertet ähnlich).
Wein 12: Weingut Breuer Rauenthaler Nonnenberg 2005
Schade, leider ein Korkfehler übelster Ausprägung. Diesen Wein hätte ich gerne einmal wieder im Glas gehabt.
Wie immer bei der Jahrgangsprobe, die immer in kleinerer Runde durchgeführt wird, wurden die Weine zunächst blind verkostet, besprochen und bewertet, bevor dann eine Rückverkostung offen von „schlecht nach besser“ erfolgte. Dies gewährleistet: Spannung bis zum Schluss!
Wir sehen uns wieder im Winter 2014 -– dann vermutlich zur Jahrgangsprobe 2007!
Verkostungsnotizen: Guido Mueller