
Der Solitär von Kreta – ein Besuch bei Giannis Economou
Kreta – die landschaftlich beeindruckende Insel, die von Afrika kaum weiter entfernt liegt als von Athen, hat eine Eigenständigkeit, die bis in viele Kleinigkeiten hinein spürbar ist. Etwa bei der Kulinarik, der »kretischen Diät«, nach der der Kreter angeblich unter anderem pro Woche rund einen halben Liter Olivenöl verspeist. Oder bei der unvergleichlichen Musik mit ihren tief verzweigten Wurzeln, die bis nach Vorderasien und zu den Kelten reichen. Ebenso bei den an Kampfsport erinnernden Tänzen, epischen Festen und dem starken Dialekt. Heimatverbundenheit spielt auf der Insel eine große Rolle, aber auf ganz natürliche, unprätentiöse und vor allem offene Art.
Liest man sich durch die Geschichte der Insel, bekommt einen Eindruck von der kretischen Identität. Der Kreter ist krisenerprobt und macht aus vielen guten Gründen seit Jahrhunderten sein eigenes Ding. Politisch gehört er erst seit 1913 zu Griechenland. Davor war er vieles anderes: römisch, byzantinisch, venezianisch, osmanisch. Und nichts davon war er richtig.
So eigenständig wie die Kultur ist auch der Wein – und das schon seit Jahrtausenden. In Vathypetro, mitten im größten Weinbaugebiet der Insel in der Nähe der Hauptstadt Heraklion, fanden Archäologen eine über 3.500 Jahre alte Weinpresse aus minoischer Spätkultur. Diese dient als Beweis dafür, dass die Trauben hier schon früh nicht nur gegessen, sondern auch weiterverarbeitet wurden. Kreta zählt tatsächlich als einer der Ausgangspunkte für den europäischen Weinbau, der sich von dort über die Ägäis und den Peloponnes bis nach Italien und schließlich nach Südfrankreich und Spanien verbreitete. Vieles weist noch heute darauf hin. In Pompeji und Rom haben Archäologen Amphoren römischer Weinhändler mit der Aufschrift »Vinum Creticum excellens« ausgegraben. Auch den Ursprung mancher historischer Rebsorte, etwa der Malvasia, konnte bis nach Kreta zurückverfolgt werden.
Wie in vielen anderen Weinbaugebieten in Europa, begann auch in Kreta die Weinkultur in den neunzehnneunziger Jahren neu aufzublühen. Zu den Pionieren zählte Amerika-Heimkehrer Ted Manousakis, der im Jahr 1993 seine Idee verwirklichte, auf Kreta Rebsorten der südlichen Rhone zu kultivieren. Der Impuls, auf Kreta Syrah zu anzubauen, hatte Folgen. Heute gibt es viele Weingüter, die sehr gut mit damit umzugehen wissen. Andere bedeutende Winzer, die in den neunziger Jahren mit der Tradition brachen, große Kellereien mit Trauben zu beliefern, um selbst hochwertige Weine zu entwickeln, waren Nikos Douloufakis oder die Brüder Sotiris und Lambros Lyrarakis. Heute gibt es eine ganze Reihe interessanter Weingüter und charaktervoller Weine auf der Insel zu entdecken.
Economous Weine gibt es auf Kreta nicht zu kaufen und nicht zu trinken
Ein besonderer Winzer auf dieser besonderen Insel ist Giannis Economou. Er ist Kreter durch und durch. Er hat seine eigenen Ansichten, er lässt sich nicht gern reinreden, er macht mit Entschlossenheit, viel Wissen und Erfahrung sein eigenes Ding. Und damit hat er großen Erfolg. Seine Weine zählen zur Qualitätsspitze Griechenlands und gelten trotzdem noch immer als gut gehüteter Geheimtipp.
Giannis Economou ist mit Ziros, seinem Heimatdorf, tief verwurzelt – nicht so sehr mit dem Ort und der Gemeinschaft, mehr mit dem Land drumherum, der Natur, den Bergen, dem Boden und seinen Reben, die darauf wachsen. Er ist ein moderner Mensch, hat viel gesehen und sich vielen Herausforderungen gestellt auf seinen Stationen in Baden, Barolo und Bordeaux. Das Studium der Önologie hat er in Alba absolviert. Er spricht fünf Sprachen. Seine Kinder studieren in Deutschland und Belgien. Immer wieder wird er gesucht und gefragt, wenn es darum geht, den griechischen Wein zu vermarkten. Er springt dafür schon mal über seinen Schatten. Einen Tag nach unserem Besuch wird er im Flieger nach Paris sitzen und auf einem Empfang des griechischen Weinbauverbands ins Rampenlicht gestellt werden.
Eigentlich aber ist Giannis Economou unter den kretischen Winzern ein Solitär, wie seine Weine, die ebenfalls einzigartig sind. Sein Weingut liegt nicht, wie fast alle anderen auf Kreta, in der fruchtbaren Mitte der Insel, sondern rund 80 Kilometer entfernt im Osten hoch oben auf dem Ziros-Plateau — ein von felsigen Bergen umgebenes, weitläufiges Gebiet, das nur die richtig guten Reiseführer kennen. Economous Weine sind anders als die der anderen bekannten Domänen auf der Insel. Lyrarakis, die kretischen Ableger des Weinkonzerns Boutari oder auch das Kloster Toplou versorgen die Supermärkte, Regionalshops und Restaurants mit hunderttausenden Flaschen, viele davon mit überaus guten Qualitäten, immer mehr davon mit modernen internationalen Rebsorten und die meisten für den frühen Genuss gemacht.
Giannis Economous Weine gibt es auf Kreta nicht zu kaufen und nicht zu trinken. Denn sie sind selten. Was auch daran liegt, dass er sie nur spärlich freigibt. Die Weine schlummern etliche Jahre in den Fässern auf seinem Weingut, teils so lang, dass sie mit ersten Reifetönen auf die Flasche gezogen werden. Frisch abgefüllt ist gerade der Liatiko aus dem Jahr 2006, der Jahrgang 2004 ist noch nicht fertig, der 1999er befindet sich zurzeit in einer schönen Primärfruchtphase.
Wenn man Giannis Economou besucht, kommt man nicht umhin, ihn vorher anzurufen. Man würde sein Weingut in den engen Gassen von Ziros sonst kaum finden. Auf seine Anweisung hin parken wir hinter der Kirche, neben der geschlossenen Schule und den verriegelten Gebäuden. Hier war bis vor kurzem die Agrargenossenschaft ansässig, bevor sie Insolvenz anmelden musste. Inmitten sichtbarer Spuren der Krise kommt uns gemächlichen Schrittes ein gestandener Mann mit strahlendem Lächeln entgegen. Es gibt kein Eis zu brechen, die Begrüßung fällt so aus, als würde man sich schon lange kennen. Und fortan geschieht alles spontan und ungeplant.
Von Franz Keller Senior über Alba nach Chateau Margaux
Ein Besuch bei Giannis Economou ist eine Homestory. Die Vinothek ist ein kleiner Holztisch auf dem Hof unter einem Dach aus Reben. Ehe man sich versieht, verliert man sich in den vielen kleinen Gebäuden auf dem Hof, halb Wohnraum, halb Kellerei. Das Weingut, das Giannis Mitte der neunziger Jahre übernommen hat, wurde früher von seinem Großvater bewirtschaftet. Die Gebäude aus Stein und Lehm wurden vom 17. bis ins 19. Jahrhundert hinein erbaut. 1820 floh seine Familie auf die Hochebene, weil sie im Widerstand gegen die Osmanen gekämpft hatte und Schutz vor Verfolgung suchen musste.
In den vielen kleinen Häusern stehen heute jede Menge alte und neue Maschinen. Die Gärtanks wirken größer als die Räume selbst. Bei der Montage wurde einfach das Dach des Hauses abgenommen. Giannis Economou holt viel heraus aus dem wenigen Platz, der ihm zur Verfügung steht. Er ist ein Erfinder, ein Forscher, für den es beim Weinbau erstmal darauf ankommt, Probleme zu lösen. »Guck mal«, sagt er immer wieder, und »Das musst Du kapieren«, wenn er ausholt und tief in Details eintaucht über Kellertechnik, Abfüllanlagen, Verschlussvarianten für Olivenöl, der uralten Kultur kretischer Süßweine, ampelographischen Irrtümern bei der Bestimmung kretischer Rebsorten oder dem Einfluss des griechischen Weinbaus in Südfrankreich.
Economou hat das Winzerhandwerk nicht auf Kreta gelernt. Beim alten Franz Keller hat er zwei Jahre lang sehr hart gearbeitet und dabei nicht nur die Sonnenseiten des badischen Winzerlebens kennengelernt. Danach hat er auf eigene Faust deutsche Gärtanks nach Italien importiert, im Anschluss Önologie in Alba studiert und bei Enrico Scavino und Bruno Ceretto eine gute Zeit im Piemont gehabt, in Weinbergen und Kellern gearbeitet, viele Weine probiert und sich sensorisch weitergebildet. Auch in Bordeaux machte er Station und half 1993, einen katastrophalen Jahrgang auf Chateau Margaux zu retten. Auf den Regalen zwischen den vielen Gärtanks findet man immer wieder leere Flaschen von Weingütern, auf denen er gearbeitet hat: Chateau Margaux 1989, Paolo Scavino Cannubi 1992, Ceretto Barolo 1986.
Bei aller Berührung mit großen Weinen und weltberühmten Terroirs ist es erstaunlich, dass er nach Kreta zurückgekommen ist und dort seine Bestimmung gefunden hat. Denn Weinbau ist hier anders als in Bordeaux, Burgund und Barolo. Schaut man sich die Weinfelder in Sitia an, stehen die Reben nur hoch bis zu den Knien. Viel Blattwerk beschattet und schützt Triebe und Trauben. Die Bodennähe sorgt für Kühle und hält die morgendliche Feuchtigkeit bis weit in den Tag hinein unter dem Laubdach. Im Sommer gehen die Temperaturen auf knapp über 30 Grad Celsius hoch, das sind in der Höhe von fast 700 Metern sechs, sieben Grad weniger als unten an der Küste am Libyschen Meer. Zudem ziehen kühle Winde von den Bergen herunter, und die Sonne geht am 35. Breitengrad schon früh unter.
Früh im Jahr regnet es oben auf den Plateaus regelmäßig, im Winter schon mal wöchentlich. Das sei in Ordnung, so Economou, nur dürfe es nicht zu lange feucht sein. Die Reben sollen schon früh nach Wasser darben. Trockenstress stellt sich dabei nicht ein. Das verhindert die Reberziehung in dem buschigen Blattwerk. Traumhafte Bedingungen für Trauben, die unter diesen Bedingungen überraschend langsam reifen. Oechsle-Grade und pH-Werte interessieren Economou nicht. Er erzählt lachend, wie er sich in Deutschland gewundert hat, wenn Keller Junior mit dem Refraktometer im Weinberg stand oder die Trauben vor der Ernte erstmal im Labor prüfen ließ. Er beginnt einfach dann mit der Lese, wenn das Tannin reif ist. Wenn es süßlich schmeckt. Mehr Analyse braucht er nicht.
Für die Reblaus, die erst in den siebziger Jahren nach Kreta fand und schließlich dann doch noch viele Rebflächen verwüstete, war es in Sitia zu anstrengend. Anders als auf der grünen Mitte der Insel sammeln die Böden hier kein Wasser, die Reben wurzeln tief und wachsen geradewegs nach unten. Die Laus kam damit nicht zurecht. Bevor sie die Rebwurzeln zerstören konnte, war sie selbst erledigt. Das Ergebnis sind große Flächen wurzelechter Reben mit einem Alter von bis zu 90 Jahren. Manche sind sogar noch älter, bis über 200 Jahre – kleine dickstämmige, tief wurzelnde Buschreben, die wenig Früchte tragen. Giannis Economou hat hier, verteilt auf die umliegenden Orte, etwas mehr als 16 Hektar zertifiziert biologisch bewirtschaftete Rebflächen, aus denen er zwar äußerst wenig, doch dafür herausragend guten Wein bezieht. Trockenheit und der ewige Wind verhindern Schädlinge und Pilzbefall. Nie bleibt Feuchtigkeit auf den Feldern stehen. Für Economou bedeutet das, dass er wenig eingreifen und seine Weine kaum schwefeln muss. Bei manchen Jahrgängen und Rebsorten kann er sogar ganz darauf verzichten, der natürliche Schwefel auf den kleinbeerigen Trauben reicht dann aus.
Die Erträge sind extrem gering. Sein roter Sitia liefert gerne mal nur 15 Hektoliter pro Hektar. Bei dem natursüßen Liatiko, einer alten kretischen Spezialität, die in der Antike als Wertanlage galt, kommt er bei nur drei bis fünf Hektoliter pro Hektar heraus. Die Jahresproduktion auf dem Weingut liegt insgesamt bei gerade mal 30 bis 40 Tausend Flaschen. Doch Giannis Economou macht daraus eine Tugend. Die geringe Produktionsmenge ermöglicht es ihm, seine Weine viele Jahre im Fass reifen zu lassen. Und so sein Ideal von Wein zu verwirklichen.
Ein großer Rotwein muss nicht dunkel sein
Schaut man über das kleine Weingut, kommt die Frage auf, wo der viele Wein steckt. Auf rund 350 Quadratmetern lagern zur Zeit 120 Tausend Liter. Die Mengen bekomme er schon irgendwo unter. Und sei es unter freiem Himmel. Er greift zur Pipette und geht ein paar Schritte über den Hof zu vier sehr alt aussehenden, vom Wetter gegerbten, in der prallen Sonne liegenden Holzfässern. Er entnimmt daraus zwei Gläser braun-orangefarbener Flüssigkeit, einen Süßwein aus am Rebstock getrockneten Liatiko-Beeren, Jahrgang 2006, ein Wein mit 15 Prozent Alkohol und 60 Gramm Restzucker.
Der Wetter war optimal in dem Jahr, es gab schon im Frühjahr keinen Regen, was diese Beerenauslese erst möglich gemacht hat. Der Wein liegt braun und trüb im Glas, eine Farbe, wie man sie selten bei einer Fassprobe sieht. Die Nase ist sehr kräuterig: Thymian, Salbei, Karamell, Erdbeeren, rote Johannisbeeren, auch Brühwürfel. Im Mund hat der Wein erstaunlich viel Frucht und Spiel, begleitet von Säure, einer tiefen Frische, Minze, dann auch Rosine und leicht oxidativen Noten. Sein Aroma kommt voll aus der Frucht, er hat nichts vom Holz, nichts Schärfendes, auch nichts Überreifes. Die Textur ist seidig. Die überraschend hohen 15 Prozent Alkohol steckt er locker weg. Erste Reifetöne, auch Aromen von Walderde deuten sich an. Das Tannin ist mürbe und süß. Was wir da trinken, habe man auf Kreta schon vor Jahrhunderten so getrunken, erklärt Economou. Ein Blueprint des original kretischen Weins, den nicht nur die Römer so exzellent fanden. Bestehend aus Liatiko, rot, süß, stark und damit lange haltbar, aber ohne Branntwein. Das brauchen die Trauben und die Hefen nicht.
Nach dem roten Süßwein kommt der trockene Weißwein. Alles verkehrt herum, improvisiert. Doch das spielt keine Rolle, denn der Assyrtiko aus dem Jahr 2013, der erst vor kurzem abgefüllt worden ist, kommt locker gegen den Dessertwein an. Eine dunkle, zitronige Farbe, in der Nase sehr kräuterig, nasser Beton, Bleistift, Mineralität, dazu gelbe Obstschale. Der Wein duftet mit Aromen von feuchten Kräutern wie ein Savagnin aus dem Jura. Und er schmeckt auch so. Extraktreich und intensiv bleibt er an Zunge und Gaumen haften. Geschmacklich ist das trocken, mit etwas Gerbstoff und viel Struktur. Die Säure ist gut integriert und kann trotzdem das ordentliche, etwas süßliche Extrakt und die Gerbstoffe gut puffern. Hinten wird der Wein herb und oxidativ, mit Schalen gelber Äpfel und einer guten Länge. Ein genialer Wein als Speisebegleiter, etwa zu Fetakäse mit Oregano, das schmeckt auch in Deutschland so gut wie in Griechenland.
Im Vergleich dazu gibt es den weißen Sitia 2013 aus Vilana und Thrapsathiri. Dies ist das klassische, weingesetzlich vorgeschriebene Cuvée für einen Weißwein aus der Appellation Sitia. Offenbar nicht ohne Grund, denn die Zusammensetzung funktioniert gut. Die schlanke, frische, apfelfruchtige Vilana findet mit der aromatischen, floralen Thrapsathiri einen passenden Partner. Der Wein darf das OPAP-Siegel seiner Herkunft Sitia im Namen tragen, weil er die richtigen Rebsorten hat. Auch hier findet sich eine reduktive Nase mit Kräutern und feuchtem Stein, aber deutlich mehr Frucht mit Noten von reifen Zitronen. Im Antrunk ist der Wein frisch, elegant und trocken. Zuerst bahnt sich eine feste Säure den Weg. Dazu kommen gelbe Zitrusnoten, weiße Ananas, Biskuit, Zitruszesten und auch hier weiter hinten eine delikate oxidative Note. Der Wein wirkt zuerst eher schlank, dann kommt das Extrakt zum Tragen. Er fächert auf, wird komplex und lang, nimmt immer mehr Aromen an, wirkt schließlich sogar etwas füllig. Der Abgang ist dann richtig lang. Am Schluss bleibt ein Spiel aus Festigkeit und Frische auf der einen sowie Körper und Kraft auf der anderen Seite.
Als nächstes holt Economou die roten Reserven von der Liatiko aus dem Keller. Das sind die Weine, die das Weingut berühmt gemacht haben. Die Trauben der autochthonen kretischen Rebsorte sind normalerweise recht groß und haben viel Fruchtfleisch. Sie werden gerne für fruchtige Rosé-Weine verwendet. Und auch die Rotweine haben eine helle Farbe, sie sind körperreich, fruchtig und würzig. Die Trauben, die an den Rebstöcken in Sitia wachsen, unterscheiden sich aber deutlich von den übrigen Liatikos auf Kreta. Sie sind kleinbeeriger, haben mehr Tannin und mehr Säure. Giannis Economou glaubt, dass die Sorte in Sitia nur wenig mit den Liatiko-Reben in Heraklion und Umgebung zu tun hat. Er schließt aus, dass es sich um verschiedene Klone handelt. Ampelographisch sei man der Sache noch nicht auf den Grund gegangen, so Economou, wie auch vielen anderen Fragen im kretischen Weinbau.
Einige Jahrgänge seiner roten Reserve-Weine dürfen die Bezeichnung Sitia nicht im Namen tragen. Denn sie bestehen ausschließlich aus Liatiko-Trauben. Somit erfüllen sie nicht mehr die Vorschriften. Die Genossenschaften hatten im Jahr 1999 erwirkt, dass ein ordentlicher Appellationswein mindestens 20 Prozent von der dickschaligen, dunkeltintigen Mandilaria-Traube enthalten muss. Der Wein solle schließlich auch wie Rotwein aussehen, so hieß es damals. Doch Giannis Economou zweifelt an der Begründung. Denn man könne so auch unreifen oder weniger hochwertigen Liatiko kaschieren und die Erträge erhöhen, gibt er zu bedenken. Wie dem auch sei, ihm geht es einzig um den Liatiko. Und in Jahren, wo er diesen reinsortig abfüllen kann, verzichtet er auf die Mandilaria-Trauben und etikettiert seine Weine als Tafelwein. »Rotwein muss nicht dunkel sein«, sagt er. »Im Gegenteil, die meisten großen, raffinierten Rotweine auf der Welt sind hell.« Und eben solche Weine möchte er machen.
Irgendwo zwischen Barolo, Rioja und Burgund
Ein weiterer raffinierter, duftiger, reinsortiger Liatiko findet sich im nächsten Glas wieder. Der rote Crete 2006 – auf dem Etikett nun ohne Hinweis auf die Appellation Sitia – lässt uns wundern und staunen. Er ist irgendwie nicht richtig greifbar mit seinen walderdigen, rotbeerigen Aromen eines Burgunders und zugleich welken floralen und teerigen Noten eines Barolos. Das reife Tannin hat seine eigene Süße und ist im Abgang leicht salzig. Die Textur ist seidig. In diesem Wein verschmilzt auf burgundische Art die rote Primärfrucht mit erdigen und schon leicht pilzigen Reifearomen. Dazu kommen Lorbeernoten und eine graphitartige Mineralität. Eine wichtige Rolle in dem Wein spielt die integrierte, aber doch feste, deutlich wahrnehmbare Säure, die wieder mehr an einen Italiener erinnert. Der Körper bleibt im mittleren Bereich, der Abgang ist lang. Der Wein scheint auf seinem Höhepunkt zu sein. Das hier ist aromatisch, sehr gut balanciert, und es ist erstaunlich, dass der Wein aus einem heißen Klima stammt. Economou schafft hier vielleicht am ehesten das, was gute Riojas oder reife kalifornische Cabernets auszeichnet, nämlich die Vorzüge richtig ausgereiften Tannins zu nutzen und dabei durch Laubarbeit und geringe Erträge die Säure der Trauben zu bewahren und die Reife im Griff zu behalten. Ein weicher, freundlicher, komplexer Wein der leiseren Töne.
Als nächster Wein folgt der Sitia 1998. Es handelt sich dabei um einen reinsortigen Liatiko, der aber damals noch so heißen durfte. Der Wein zeigt welke florale Noten, Teer und Lorbeer. Im Antrunk bietet er eine deutliche Extraktsüße, aber auch eine seidige Textur und mittleren Körper. Am Gaumen kommen sekundäre und auch tertiäre Aromen hinzu. Wir schmecken Feigen und Waldboden, die Säure ist bereits weicher, auch das Tannin ist süß und weich. Das Aroma ist überhaupt nicht intensiv oder konzentriert, sondern besticht durch Eleganz und Ausgewogenheit. Der Wein hat keine Schwere, dafür viel Noblesse. Der Abgang baut eine überraschende Länge auf, der Wein hat mehr Substanz als vermutet. Auch hier muss man wieder an einen gereiften Rioja ohne amerikanisches Holz denken. Dazu kommen erdige Anklänge eines alten, mürben, klassisch ausgebauten Barolos. Giannis bestätigt dies und betont, wie wichtig es ihm sei, dass das Holz zu keiner Zeit herauszuschmecken ist. Der Sitia 1998 ist deutlich gereifter und komplexer und zeigt hoffentlich an, wohin die Reise gehen kann bei den Liatikos.
Als dritten Rotwein bringt uns Giannis eine spontan cuvetierte Fassprobe des Sitia 2004. Die Weine reifen noch im Fass, sollen aber bald abgefüllt werden, diesmal wieder mit dem Siegel der Appellation Sitia. Die zusätzliche Komponente, das Fünftel Mandilaria, zeigt sich auch geschmacklich, ebenso die Jugendlichkeit dieses Weins. Das Bukett ist jetzt richtig fruchtbetont, es hat keinerlei Reifenoten. Der Wein duftet wieder nach Teer, jetzt kommen aber rote Johannisbeeren und Erdbeeren dazu, eine ausdrucksstarke, extraktreiche Frucht, dazu mehr Tannin als in den Weinen zuvor und eine zupackende Säure. Der Wein hat jugendliche Spannung. Wenngleich er nicht hart wirkt, ist er trotzdem noch viel zu jung. Ein gehöriger Unterschied im Vergleich zu den weichen, reifen Weinen davor. Ganz sicher hat der Sitia 2004 am meisten Potenzial. Es könnte sich lohnen, ihn über die Jahre zu beobachten – wenn er denn mal abgefüllt wird.
Es läuft gut bei Economou – und die Genossenschaft macht pleite
Giannis Economou kann nicht nur Liatiko, und ihm ist bewusst, dass er ein breiteres Sortiment aufbauen muss, um sein Weingut weiterzuentwickeln. Vor einigen Jahren hat er begonnen, internationale Rebsorten anzupflanzen, darunter Syrah, Grenache, Carmenere, Cabernet Sauvignon, auch Barbera. Mit dem Jahrgang 2015 entstanden die ersten Weinen aus diesen noch ganz jungen Reben. Verkosten konnten wir ein noch unfertiges Cuvée aus Carmenere und Merlot. Der Wein hat Aromen von Aubergine, Paprika, schwarzen Johannisbeeren. Er ist intensiv und dicht, aber auch er bietet diese reifen, süßlichen Tannine. Holzgeschmack oder Adstringenz gibt es erfreulicherweise nicht, denn Giannis Economou lässt auch diese Weine in mild getoasteten Barriques reifen. Der Wein hat einen ganz anderen, kräftigeren Stil, er weist in Richtung Bordeaux und bildet damit den Gegenpol zum Liatiko. Genau darauf zielt Giannis Economou mit dieser Kollektion ab: Weine zu machen, die zu ganz anderen Speisen passen. Und natürlich faszinieren ihn die Experimente mit anderen Rebsorten auf seinem Boden. Unter dem Namen Economou werden die Weine wohl nicht erscheinen. Der Winzer deutet an, dass er ein anderes Label dafür im Sinn hat. Mehr verraten möchte er noch nicht.
Ob mit klassischen oder modernen Rebsorten – Giannis‘ Weine sprechen für sich und sind nicht austauschbar. Das hat sich herumgesprochen in der Weinwelt, und vor allem Gastronomen haben das erkannt. Es läuft gut bei Giannis Economou – während es um ihn herum bergab geht im Osten Kretas. Die Agrargenossenschaft im Ort steht mit 40 Millionen Euro in der Kreide. Das ist eine Katastrophe für die Weinbauern, die sich aber schon länger angedeutet hat. Viele sind in den letzten Jahren auf Olivenöl umgestiegen, die übrig gebliebenen Weine fließen jetzt zunehmend in die Raki-Produktion. So heißt der kretische, wirklich gut trinkbare Tresterbrand, der auf der Insel in Strömen genossen wird, aber viel zu billig ist und kaum Ertrag erwirtschaftet.
Und für die, die auf Olivenöl umsatteln, verlängert sich das Problem. Das Plateau von Ziros war früher ein Land durchgehender Rebflächen. Jetzt gibt es nur noch vereinzelte Felder mit Wein, stattdessen sieht man überall Olivenhaine. Es gibt sehr viele davon auf Kreta, 20 Prozent der Insel sind damit bedeckt. Die Olivenbauern produzieren Unmengen an Öl, früh geerntet, extra vergine, kalt gepresst, in ausgezeichneten Qualitäten. Das Überangebot führt dazu, dass die Preise ganz unten sind. Giannis Economou, der quasi als Freizeitbeschäftigung und aus Liebe zur Sache heraus zwei Öle erzeugt, die sogar aus Einzellagen stammen, weiß um das Problem. Er erzählt von herausragenden griechischen Olivenölen, die in Deutschland bei den Discountern verkauft werden. Allzu schade, dass die Kunden oftmals gar nicht wissen dürften, wie gut diese Produkte sind.
Doch zurück zum Wein. Wer die Weine von Giannis Economou auf Kreta entdeckt, wird davon nichts mit nach Hause nehmen können. Der lokale Handel führt die Weine nicht, auch nicht der gut sortierte Duty-Free-Shop am Flughafen. Sogar ab Weingut gibt es nichts, denn ein Abverkauf wäre gleich mit viel Verwaltung verbunden im heutigen Griechenland, wo der Verbraucher darauf achten soll, dass alle Transaktionen in eine Registrierkasse fließen. Der Papierkram würde Giannis zuviel, er möchte keinen Stress, er möchte Wein machen.
Die meisten Flaschen exportiert Giannis Economou in die USA, und dort hauptsächlich nach New York. Augenzwinkernd weist er darauf hin, dass dort viele Griechen leben, viele gut situiert und dem anspruchsvollen Genuss nicht abgeneigt. Der Liatiko stehe zudem auf den Weinkarten von immer mehr Top-Gastronomen. Wie sehr er dort hingehört, wird klar, wenn man die Weine verkostet. Sie sind hervorragende Speisebegleiter. Auch der Sommelier für die griechischen Staatsempfänge weiß das zu schätzen. Am Tag unseres Besuchs wird Giannis‘ Liatiko Wladimir Putin in Athen ausgeschenkt. Und Francoise Hollande wird sich in der folgenden Woche daran gütlich tun.
Wieder strahlt Giannis Economou, als er das erzählt. Sein Lachen drückt Zufriedenheit aus, sicher auch darüber, dass er sich keine Sorgen machen muss, nicht mal in den Zeiten der Krise. Es hat aber auch etwas Verlegenes und Schelmisches. So als wundere es ihn immer noch selbst, dass seine Weine es geschafft haben und heute von Politikern, Prominenten, in Luxus-Hotels, Weinbars und Sterne-Restaurants getrunken werden. Von Kreta ist das alles ganz weit weg. Und das ist gut so.
In Deutschland gibt es die Weine hier zu kaufen. – Neuigkeiten vom Weingut postet Giannis hin und wieder auf seinem Blog.