Chateau Cantemerle Haut-Medoc, 1996
Wir hatten eine elegante Dame zu Gast – sie saß einfach nur da, lehnte sich in zinnoberrotes Tuch gehüllt gegen den Glasrand und schmunzelte leise über die anderen Weine am Tisch, wie diese sich mühten, sich mit ihrer feinen Herkunft und der Kraft ihrer Jugend in Szene zu setzen. Nein, so ein Gebahren hatte sie wirklich nicht nötig. Unaufgeregte Noblesse im beginnenden Herbst des Lebens braucht keinen vorlauten Auftritt.
Mit einer feinen Nase nach schwarzer Johannisbeere, ersten pilzigen Reifetönen, flankiert von etwas grüner Paprika, deutlich Zedernholz und Orangen, gelang es ihr auch so, Eindruck zu erzielen, ohne dass sie sich mit vehementer Stimme das Wort genommen hätte. Nein, dies wäre einfach nicht ihre Art. Mit noch immer saftigem Antrunk, von Merlot mehr als von Cabernet Sauvignon geprägt, einer eher schlanken dunkelfruchtigen Dichte, offeriert sie erneut dunkle Johannisbeerennoten, verhalten etwas Leder, auch einen milden, leicht schokoladigen Schwarzkirschlikör, der bei gut eingebundener Säure mit den tabakigen Nuancen harmoniert. Das ehemals recht kräftige Holzrouge, das sie noch zu Jugendtagen aufgelegt hatte, ist längst einem feinen, nur ganz leicht stumpfenden Tanninpuder gewichen. Strukturiert von Anbeginn an bis in den schon langen, leicht schokoladigen Nachhall. Wiederholt schon war sie schon zu Gast, aber noch nie war der Besuch so schön. Offen verkostet, eine Stunde dekantiert, zu Hause.
Im Fachhandel, 32 Euro, 92 Punkte (ausgezeichnet), jetzt bis 2014