Chateau Léoville Barton St. Julien, 1999
Es gibt ja verschiedene Ansichten, was die beste Art ist, einen guten Bordeaux zu trinken: Man kann ihn als Essensbegleiter nutzen, sich mit anderen drüber austauschen – meiner Ansicht nach ist die ideale Konsumeinheit für eine Person die ganze Flasche, und ein Essen brauche ich nur vorweg. In dieser Konstellation kann ich den Wein langsam kennenlernen und häufig passiert es mir, dass ich trotz ausreichender Belüftung den Wein beim ersten Schluck als streng und unzugänglich empfinde und ihn dann im „Verlauf der Flasche“ immer besser verstehe. Aber gelegentlich geht das auch schief. Der fragliche Wein war eigentlich noch lange nicht zum Trinken vorgesehen. Zufällig entdeckte ich aber, dass der Weinführer meines Vertrauens ihm für dieses Jahr ideale Genussreife attestiert. Ein hochwillkommener Grund, eine Flasche zu köpfen und das zu prüfen. Im Glas unglaublich dicht, blickdicht, mit fast schon violetter Farbe. In der Nase das, was man sich erhofft: sehr schnell da, kräftig, mit bereits gereifter Frucht, Extraktsüße, würzig, sogar schon leicht tertiäre Noten, Leder, etwas Stall, dahinter aber auch frischere Anklänge, leicht ätherisch, wie Tannennadeln, eine leichte Mineralik. Im Mund eine sehr sanfte Textur, die Tannine schon recht weich, nur ganz hinten noch ein wenig körnig, eine schöne Säure, auch hier aber stallige Anklänge. Er endet in einem langen Abgang, in dem all die genannten Komponenten recht schön zusammenspielen. „Recht schön“. Bis hierher waren das vorläufige 91 Punkte, aber nun lief irgendetwas aus dem Ruder: Statt dass der Wein – wie ich mir das ausgemalt hatte – im Verlauf des Abends immer neue Facetten zeigte, entwickelte diese Flasche eigentlich nur eine weiter: sonderbarerweise den Stall. Insbesondere im Abgang machte der sich immer breiter, eigentlich sollte er mit zunehmender Belüftung eher verfliegen. Und statt dass ich den Wein im Lauf des Abends immer besser verstand, fand ich mich, als die Flasche leer war, in einem recht grüblerischen Zustand vor: Flaschenfehler? Zu warmer Keller? Wein zu jung? Oder habe ich keine Ahnung? Die mir angenehmste Erklärung ist die erste, und daher bezieht sich mein deutlicher Punktabzug auch nur auf diese Flasche. Als Begleiter durch einen Samstag Abend, offen verkostet, vor dem ersten Glas zwei Stunden in der Karaffe.
Im Fachhandel, 49 Euro, 85 Punkte (sehr gut), 2011 bis 2016