Hermann J. Wiemer Riesling Reserve Dry Finger Lakes, 2008
Wiemer kam bei meinem Ausflug an die Finger Lakes Ende Mai von den besuchten Weingütern meinem Wunschbild von Riesling am nächsten. Die Nachverkostung des regulären „Dry“ ein paar Wochen später zuhause bestätigte den Eindruck, den ich vor Ort gewonnen hatte. Ich hatte schon eine postalische Nachbestellung erwogen, doch dann: zwei Korkflaschen direkt hintereinander! Riesling Dry 2008 und Pinot Noir 2007, also aus dem gleichen Füllungsjahr! Das Vertrauen zerstört, der Konsument verunsichert. In meinem Kühlschrank lagerten noch zwei Flaschen der „Reserve“, des großen Gewächses von Wiemer. Wann aufmachen? Sowas reißt man nicht einfach mal so unter der Woche auf. Man möchte aber auch nicht auf den ganz großen Moment warten, um dann feststellen zu müssen, dass beide Flaschen das gleiche Schicksal ereilt hat. Also heute: Eine anstrengende Woche vorbei, und die Bundesligasaison wurde mit einem Heimsieg eröffnet. Perfekt.
Erste Diagnose: sauber. Würzige, apfelkräuterige Nase, viel Zitrus, insbesondere Grapefruit, leise Mineralik von nassem Stein, mit mehr Luft immer dominanter und fast ein wenig beißend werdend, kühl und strukturiert, ein Hauch von Marzipan, Fruchtsüße, alles in allem noch ein wenig zurückhaltend, mehr Reife schadet ihm sicher nicht. Die Charakteristik der Finger-Lakes-Rieslinge ist schon in der Nase wieder eindeutig erkennbar, allerdings auch, dass hier hochwertigeres Traubenmaterial verarbeitet wurde: Trotz nur 12% Alkohol bringt dieser Wein einen deutlichen Wumms und viel mehr Tiefe mit als ich das bisher vorgefunden habe.
Am Gaumen setzt sich dies alles bruchlos fort. Die charakteristische Säure, viel Apfel und Zitrus, die Aggressivität jedoch durch viel Extrakt und auch Schmelz abgepuffert. Trockenkräuter, ich habe die ganze Zeit über schon das Bild von „schwarzen Spänen“ vor Augen, weiß aber nicht, was das für Späne sein sollen. Grafit? Metall? Wieder etwas Dunkles wie Kaffee, vielleicht diese schon in der Nase angedeutete Marzipannote. Etwas salzig. Hintenraus leicht adstringierend (Phenol?!? nein…). Nachhaltig. Der recht hohe Restzuckergehalt (8g) ist spürbar, aber gut integriert.
Wie schon gesagt: Das ist mehr als die Standardrieslinge der Finger-Lakes-Güter zu bieten haben. Es fehlt mir jedoch an Eigenständigkeit und Vielfalt in der Aromatik. Der Name „Reserve“ trifft es eigentlich ganz gut: das Übliche, aber davon das Beste. Sehr sauber und auch interessant, die Tiefe eines guten Großen Gewäches erreicht er aber nicht. Knapp am Ritterschlag vorbei. Ich wüsste allerdings zu gern, wie so was reift.
Vom Weingut, 25.- USD, 89 Punkte (sehr gut), Mitte 2011 bis 2013?