Chateau Phélan Ségur Saint-Estèphe, 1995

Chateau Phélan Ségur Saint-Estèphe, 1995

Ziegelrot mit orangefarbenen Reflexen zum Rand hin. Wir hatten den Wein karaffiert und für gut 1,5 Stunden auf die Terasse gestellt, die abendlich herbstlichen Temperaturen kühlten den Wein ein wenig herunter, sodass er mit gefühlten 15 Grad ins Glas kam.

In der leisen Nase Anklänge an feuchten, leicht pilzigen Waldboden, Laub, Orangen, dazu Kirsche. Eher subtil gezeichnet, nur etwas Tabak vernehme ich noch. Einigkeit am Tisch, wir haben den Wein im letzten Viertels seines Lebens geöffnet – morbide ist das aber noch lange nicht.

Im Antrunk filigran, mit einem schlanken Körper versehen, in der Mitte fehlt etwas Kraft und Tiefe, um haltlos zu überzeugen – hier ist der Wein zu fein gestrickt (für Jahrgang und Chateau schon etwas enttäuschend); etwas Cassis, ein Holunder-Kirsch-Mix, entwickelt im Glas etwas metallisch-mineralische Töne. Auch leicht gemüsige Töne werden entdeckt, etwas Kakao. Am Gaumen mit feinstem Schmelz, wirklich elegant, das Tannin ist abgeschmolzen und bleibt mit Noten von Ceylontee mittellang und harmonisch stehen.

Wirklich ein leiser Stil, mir zunächst bei aller Ausgeglichenheit etwas zu leise. Aber wenn ich schreibe „zunächst“, dann deutet dies ja bereits auf eine Veränderung hin. Und die kam auch: nach dem ersten Eindruck von diesem Wein beschäftigten wir uns parallel mit einem zweiten Wein…  als ich dann wieder bei Glas 1 schnüffelte, bin ich mehr als überrascht. Eine animierend schöne, kräftige Kaffee- und Caramellnote kommt mir da plötzlich wie aus dem Nichts entgegen. Einfach nur schön, diese Kombination…

An der weiteren Belüftung wird es wohl nicht gelegen haben, dafür war die Zeit wohl zu kurz, aber wir haben einen anderen Verdächtigen – es dürfte die zwischenzeitlich leicht angestiegene Trinktemperatur gewesen sein. Nicht nur mehr Vielfältigkeit in der Nase, auch im Mund wirkt der Wein – im Vergleich – ein ganz klein wenig voller (ohne dass dies aber etwas an der Zuschreibung „schlank“ ändern könnte). So legt sich auch ein Gefühl der Zufriedenheit ins Gesicht.

Über den Abend schwanke ich zwischen 86 und 90 Punkten – die Wahrheit liegt wahrscheinlich irgendwo dazwischen – Freunde von Blockbuster-Weinen werden dies wahrscheinlich kritischer sehen… mir jedenfalls gefiel das.

Diese Flasche hat jedenfalls volle Trinkreife – alsbald aufmachen und nicht zu kühl trinken.

Im Fachhandel nachzukaufen, 30 Euro, 88 Punkte (sehr gut), jetzt trinken

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