Rückblick auf den Sommer – Terrassenprobe in Bonn (Teil 2)
Weiter geht es mit den Rotweinen.
Der Dominio de Conte Rioja aus dem Jahr 2001 kam mit einer ausgewogenen, aber durchaus Tiefe andeutetenden Kirschnase, einem leichten Leder- und kerbeligem Kräuterton ins Glas. Schlank bis schon mittelvoll im Antrunk, schwarzkirschig und mit feiner Mineralität – inzwischen voll auf dem Höhepunkt.Frisches, holzwürziges Finale mit klarer Schwarzkirschfrucht. 90 GM-Punkte.
Strenger, aber auch würzig nobler in seinen Anlage der Finca Dofi 1994. Leder, dunkle Frucht Schuhpolitur und Oliventapenade in der Nase, flankiert von Nougat und etwas weißem Pfeffer. Im Mund mittelvolle Dichte, Thymian, Schokoraspeln und etwas Bittermandeln. Leider etwas wärmend. Das Holz gefällt mir hier leider überhaupt nicht, das Tannin trocknet merklich aus und sorgt für einen unschönen Verlauf. Macht in der Nase deutlich mehr Spass, deshalb nur 88 GM-Punkte.
Zeit für einen Abstecher ins Burgund. Den Anfang machte die Domaine Amiot mit ihrem Morey-Saint-Denis Les Ruchots aus dem sehr guten Jahr 2002. Dieser Premiere Cru kam mit roter Frucht sowie Noten nach vanilligem Krokant ins Glas. Entwickelte mit Luft etwas Minze. Klarfruchtig im Mund, feminin rotfruchtig, etwas Hagebutte, wirkt schlank und dank der frischen Säure beweglich. Stützendes Holz, Schokolade ohne Süße. Nicht der komplexeste Wein, aber ein sympathischer Vertreter – vollreif in ca. drei bis fünf Jahren. Heute 89 GM-Punkte.
Absolut reif von der Domaine Grivelet ein Chambolle-Musigny Les Amoureuses aus dem Jahr 1969, mit einer Nase nach Champignon, Waldboden und roter Frucht – röstig gesellen sich seine Holzaromen hinzu. Mittelvoller bis schon voller Antrunk, fruchtsüßer Körper, erinnert an eingekochte rote Früchte, in Schokolade glasiert. Die Säure packt im Verlauf kräftig zu, was dem Wein gut tut. Hat eine schmeichelnd-betörende Art, bis er im süßlichen Finale leider etwas schnell entschwindet. Wohlgestimmte 90 GM-Punkte.
Sehr gut gehalten hatte sich auch der nächste Wein, ein 1993er Morey Saint Denis Vielles Vignes von Hubert Lignier. In der Nase schwarzbrotig-kräutrig, die Holzaromen etwas zu röstig verbrannt, dahinter aber scheint eine klare Kirschessenz durch. Diese tolle Kirschessenz findet sich mit etwas Steinstaub auch im Mund wieder, der Wein ist mit mittlerem Körper sehr leichtfüßig. Hierzu passt das etwas zu präsente Tannin nicht ganz, es bremst diesen schönen Wein ein wenig aus. Dennoch 91 GM Punkte.
Sehr jugendlich und gut ein Jahrzehnt zu früh kam der 2000er Vosné-Romanée aus der Grand Cru-Lage La Grande Rue der Domaine Lamarche ins Glas. In der Nase Milchschokolade, eine tiefe, stimmige Holzwürze, dazu präsent reife Kirsche und eher verhalten Blaubeeren. Alles fein verwoben und schon mit angedeuteter Tiefe, aber natürlich viel zu jung. Kraftvoller Auftakt im Mund, infantil, dicht gepackt die Kirschfrucht, etwas Schwarzbrotaroma – ein eher mächtiger Wein in seinen jugendlichen Anlagen. Frucht und Säure passen gut zusammen, das saftige Tannin hobelt noch etwas ungelenk durch die Frucht. Wenn es dem Wein gelingt, seinen nicht knappen Alkohol von 13,9 % weiterhin gut einzubinden, hat der Wein ein Potential, dass für bis zu 95 Punkte gut sein könnte – heute kommt er jedoch über 92+ GM-Punkte nicht hinaus.
Kleiner Kulturschock am frühen Abend, aber kein Problem für die Mittrinker am Tisch. Denn der nächste Wein war wieder spürbar reifer – und hatte mit dem charmanten Vorgänger nichts gemein. Mit 1983 Chateau Haut-Brion trafen wir auf einen Wein, der viel zeigte, aber im Kontext seiner nominellen Klasse nicht überzeugte. Schokoladige Nase mit Zedernholz und metallischen Noten, die die dunkle Frucht umlagern. Maskuliner Charakter auch im Mund, dunkle Beerenfrucht im recht geschliffenen mitleren Körper, dennoch aromatisch streng, insbesondere herbe Schokolade als Leitaromen, keinerlei vernehmbare Süße, etwas streng durch Zedernholz- und Zigarrenbox-Aromatik. Das Tannin ist im mittellangen Finale sanft, trocknet aber etwas. 90 GM-Punkte.
Wunderschön dagegen Chateau Lynch-Bages 1990: Die Nase mit frischen Nüssen, cremig, mandelig, feine Paprikawürze (erinnert an Rosenpaprika), tief und würzig, völlig in der Balance. Der Antrunk: dekandent. Dunkle Cabernetfrucht, saftig im Verlauf, ein komplexes Spiel zwischen nussig-würzigen, aber auch mineralischen Nuancen und einer saftigen Paprika, vermischt mit feinen Kakao-/Zigarren-Spuren und einer durch die Säure jederzeit perfekt geführten Fruchtsüße, vom Antrunk bis in den langen Nachhall mit durchgehender, satter und einer einfach strahlend schönen Cabernet-Aromatik. Hat erste Trinkreife, dürfte in den nächsten drei bis sieben Jahren seinen Höhepunkt erreichen. 94+ GM-Punkte.
Dagegen konnte ich mit dem Valpolicella von Guiseppe Quintarelli aus 1997 weitaus weniger anfangen als mit seinem Vorgänger: in der Nase leicht rosinig, deutliche Pumpernickel-Aromatik, dazu ein feiner, aber doch schon unangenehmer Lackton. Im Mund mit Zwetschken und Kirschen, die Säure legt sich schnell über die Frucht und nimmt diesem eigentlich aromatisch generösen Wein leider jeglichen Charme. Warme Stilistik – aber nicht alkoholisch überhitzt. 85 GM-Punkte.
Während die Diskussionen über die Bordeaux von eben noch einmal richtig aufkamen, floss schon der nächste Wein ins Glas, ein 2002er Pinot Gris aus der Lage Clos Windsbühl von Zind Humbrecht. Eine üppige Nase mit Orangenschale, eine Spur Aprikose, kandierte, hochtönige und ins lackige gehende Frucht. Ziemlich üppig. Im Mund hochreife Frucht, Honigtöne, eine dichte Frucht mit Orangen- und Birnenaromen. Kräftig im Mund, auch der Alkohol ist etwas vorstehend. Im Finale herbe Orangenmarmelade. Kein schlechter Wein, mich sättigt er aber zu schnell. 87 GM-Punkte.
Deutlich agiler im direkten Vergleich wirkte die 1995er Versteigerungs-Auslese aus dem Graacher Domprobst von Willi Schäfer. Feiner Orangenduft und etwas Malz in der Nase, ungemein lebendig und jodig-feinduftig. Im Mund feines Orangeat auf Schieferwürze, eine fast schon brutal wirkende, frische Säure (und dieser Eindruck war nicht dem Vorwein geschuldet), die mit viel Frische ins mittellange, gelbfruchtig-orangige Finale führt. 91 GM-Punkte.
Das Finale bestritten drei knackjunge 2012er Süßweine vom Weingut Keller:
den Anfang machte die 3 Sterne Auslese aus dem Morstein, mit tiefer und feinwürziger Apfelfrucht und Orangenblüte. Kandierte Kernfrucht im Mund, hefig-wilde Zitrusaromen, die pointierte Säure sorgt für mächtig Spass im Glas, trotz seiner Jugend. Langes Finale. 92+ GM-Punkte. Noch eine Liga darüber zeigte sich die 3 Sterne Auslese aus dem Pettenthal, eine ungemein animierende und hochelegante Auslese: Subtiler und distinguierter Duft (!) nach Weinbergspfirsich und Kernfrüchten, zart, glockenklar und betörend. Auch im Mund mit innerer Balance und Leichtigkeit, feine Süße, verspielt, die Säure kitzelt die Frucht und ist auf den Punkt eingebunden. Saftige gelbe Früchte, hier sitzt alles wie ein Maß-Anzug. Man ahnt die Mineralik aktuell nur, aber sie ruht tief versteckt in diesem Wein. Langes, jugendliches und dennoch ausdruckstarkes Finale. 96 GM-Punkte.
Den Schluss dieses gelungenen Abends, inzwischen war es weit nach Mitternach, 26 Grad hatte es aber noch immer, machte Kellers Morstein Beerenauslese Goldkapsel, ebenfalls aus 2012.
In der Nase Pfirsich und etwas Banane, tiefe, etwas hefige, auch eine Spur rosinige Nase. Konzentrierter Antrunk, auf feine Weise eine rosinige Zitrusfrucht, die Säure lebendig und verspielt, dies gibt dem Wein, der natürlich noch sehr vom Restzucker geprägt wird, durchaus etwas Leichtfüßiges. Langes, noch sehr süßes, aber animierendes Finale mit deutlicher Mineralik – anders als bei der Auslese merkt man hier das mineralische Moment bereits in den Kinderschuhen. Kann und wird schön reifen. 93+GM-Punkte.
Ja, der Sommer 2013 war schon schön – aber der nächste Sommer kommt bestimmt…
Verkostungsnotizen: Guido Mueller