Der deutsche Montrachet — das Kirchenstück in Forst!?
Vor 100 Jahren wäre die Überschrift des Artikels noch genau umgekehrt verfasst worden und zwar aus der französischen Perspektive: „Das französische Kirchenstück – der Montrachet von Puligny!?“ Leider haben die zwischenzeitlichen Entwicklungen im deutschen Weinbau und das Weingesetz von 1971 das Ansehen des deutschen Weines über Jahrzehnte derart geschadet, dass die gewählte Überschrift selbst für deutsche Weinfreunde nötig erscheint, um wieder ins Bewusstsein zu rufen, welche wahren Schätze an Lagen wir in Deutschland beherbergen.
Ohne Zweifel ist das Forster Kirchenstück ein Grand Cru, das es mit jeder großen Lage der Welt aufnehmen kann. Dies bestätigte bereits die Königlich Bayrische Lagenklassifikation von 1828, in der es die höchste Einstufung erhielt. Man erzählt sich, dass selbst spanische Generäle ihre Soldaten während des 30-Jährigen Krieges vor dem Kirchenstück salutieren ließen. Die nur knapp vier Hektar große Lage bietet dank seiner besonderen geologischen und klimatischen Voraussetzungen die notwendigen Voraussetzungen, um einen besonders eleganten, ja noblen Weinstil hervorzubringen.
Das Terroir bringt weniger eine eindeutige, aromatische Stilistik hervor, wie zum Beispiel der Pechstein und der Jesuitengarten, seine Einzigartigkeit liegt vielmehr in einer besonderen Feinheit seiner Weine. Oftmals würde man diese nicht einmal an die Mittelhardt stecken, denn die dort zuweilen vorkommende Fülligkeit und fleischige Fruchtigkeit ist ihr fremd. Zwar zeigen die Weine gelegentlich die ins Tropische gehende Frucht und eine ausgeprägte Mineralität, aber die besondere Güte begründet sich in der gehohenen Noblesse und Klarheit. Bei aller Kraft und aromatischen Fülle vermählen die Weine die einzelnen Komponenten in einer besonderen harmonischen Weise und bringen so Spiel, Tiefe und Trinkfreude in den Wein. Dies gilt im besonderen Maße für die Weine des Weinguts Bürklin-Wolf, welches sich dankenswerter Weise seit 1994 der burgundischen Klassifikation verpflichtet fühlt und den entsprechenden Qualitätsanspruch an ihre Premier- und Grand Crus stellt.
Ich hatte bereits das Privileg, einige Jahrgänge verkosten zu dürfen, und die Weine waren allesamt ausgezeichnet, zuweilen gar groß. Die Grand Crus benötigen mindestens acht Jahre Flaschenreife, und gute Jahrgänge dürften auch von noch längerer Liegezeit aromatisch profitieren. Dies zeigte zum Beispiel der erst kürzlich verkostete 1996er-Bürklin-Wolf, der sich noch so herrlich frisch präsentierte, bei einer gleichzeitig beachtlichen aromatischen Komplexität, die dem Riesling nur eine günstige Reifeentwicklung verleihen kann.
Zum 24. Januar 2014 lud Frau Bürklin-von Guradze, die überaus sachkundige und engagierte Inhaberin des Weingutes, zu einer Vertikalverkostung des Kirchenstücks ein und so trafen sich circa 30 Liebhaber, um sieben Jahrgänge dieses einmaligen Schatzes zu verkosten. Hier meine Eindrücke zu den einzelnen Weinen:
2012 Forster Kirchenstück
Die Eindrücke von der Primeur-Verkostung bestätigten sich. Ein großer Wein, eine Harmonie aus Fülle und Feinheit, glockenklare Rieslingfrucht, noch gänzlich verschlossen, gewährt aber bereits Einblicke in seine zukünftige Tiefe und Komplexität, subtiles Säurespiel, enorme Länge, muss noch auf Jahre hinaus reifen.
95 – 97+ /100 (groß), ab 2021+
2010 Forster Kirchenstück
Brauchte viel Zeit im Glas, um sich zu entwickeln. Ein Duft von Limetten und jungen Pfirsichen, mineralisch unterlegt, noch sehr jugendlich und gehemmt. Am Gaumen von mittlerem Körper, saftiger Antrunk, von großer Klarheit gezeichneter Rieslingfrucht, Kernfrüchte, eine Spur mehr Restzucker, der die Säure bändigt. Diese zeigt sich schon heute animierend mit der Frucht vermählt, bringt enormen Zug in den Verlauf, großer Nachhall, aromatisch verschlossen, noch leichte Gerbstoffe im Finish, mineralischer Kick zum Ende, noch immer ein infantiler Wein, der noch einige Jahre benötigt, um in die erste Genussphase einzutreten.
92+/100 (ausgezeichnet), ab 2020+
2007 Forster Kirchenstück
In einer schönen, ersten Trinkphase präsentierte sich der 2007er. Herrlich fruchtiger Duft nach gelbfleischigen Kern- und Steinfrüchten, Pfirsichschalen, Anklänge von sauberer Botrytis, steinwürzige Mineralität als Fundament. Am Gaumen recht kräftiger Körper, enorme Saftigkeit zum Auftakt, reife Steinfrüchte, auch tropische Noten, etwa von junger Mango, leicht herbe würzige Anklänge, Basalt, und erdwürzige Mineralität, erster, zarter Reifeeindruck, hat aber immer noch zu viel Fett auf den Rippen, sehr straff und tief, bleibt lange im Finish stehen. Fruchtliebhaber dürfen jetzt die ersten Flasche aufziehen, die besondere Balance und Feinheit der Lage wird sich aber erst in einigen Jahren herausgebildet haben.
93+/100 (ausgezeichnet), ab 2018+
2005 Forster Kirchenstück
Ganz groß präsentierte sich der 2005er. Mineralität pur, erhitzte Steine, durchzogen von erdwürzigen Noten, kandierte Zitronenscheiben, weißer Pfirsich im Hintergrund, einfach tief und nobel. Am Gaumen kraftvoll und unmittelbar greift die Mineralität packend in den Gaumen, trotz seiner Wucht messerscharf gezeichnet, dadurch behält er über den gesamten Verlauf seine Trinkigkeit, glockenklares Fruchtspiel, ohne füllig zu wirken wie der 2007, reife, verspielte Säure, wird immer bissiger nach hinten hinaus und blendet dann nur sehr langsam betont mineralisch aus, perfekte Balance, noch sehr jugendlich, aber jetzt mit höchstem Genuss zu genießen. Es geht kaum besser, und wenn überhaupt, dann nur anders. Ein wahrer Grand Cru von klassischer Art.
96/100 (groß), jetzt bis 2025
2003 Forster Kirchenstück
Das auch die größte Lage unter schwierigen Wetterbedingungen leiden kann, zeigt dann der 2003er. Hochreife Südfrüchte, Wachs und Kamillentee-Aromen lassen auf eine Menge (saubere) Boytritis schließen. Fällt aromatisch ziemlich aus dem Rahmen. Am Gaumen kräftig, mit viel Frucht und Botrytis, weiche, eher milde Säure, die aber noch guten Schwung in den Wein bringt, erneut Malz und Teearomen, etwas kantiger Verlauf, durchaus gut zu trinken, erdwürzige Mineralität, gute Länge mit Bitternoten. Ein sehr schöner Wein, aber er fällt ein wenig ab.
89/100 (sehr gut), jetzt trinken
2001 Forster Kirchenstück
Der Wein des Abends wurde der 2001er, der den 2005er sogar leicht übertraf. Unglaublich jugendliche Rieslingnase, pur und duftig, grüne Äpfel, junge Pfirsiche und Aprikosen flattern umher, kandierte Limette, erhitzter Stein, Kreide, wandelt sich fortlaufend. Am Gaumen von mittlerem Körper, crisper Antrunk, eine Verschmelzung von salziger Mineralität und jugendlicher Rieslingfrucht, es läuft mir sofort das Wasser im Munde zusammen, dann lässt der Wein an jugendliche Steinfrüchte und Grapefruit denken, feine Herbheit, die Salzigkeit ist ein fortlaufender Geselle, sehr pur und packend, straffe Säure, was für ein sauberer und strammer Geselle, null Reifenoten, komplex und sehr lang, zählt zu den besten, trockenen Rieslingen, die ich je im Glas haben durfte, jede Suche und Investition wert. Mit solchen Weinen kann Deutschland seinen verlorenen Status wieder zurückgewinnen.
97/100 (groß), jetzt bis 2031
1997 Forster Kirchenstück
Animierend rauchige Nase, verhaltene Frucht mit Schalen von Äpfeln und Aprikosen, Abrieb von Zitronen und Pampelmuse, baut mit der Zeit immer weiter aus, Reifenoten im Hintergrund. Am Gaumen erstaunlich frisch und kompakt, höchstens von mittlerem Körper, balancierte, feinfruchtiger Auftrakt, die Säure schön mit der Frucht integriert, vielleicht ein wenig zu mild, die Frucht sehr sauber und noch sehr vital, kaum Reifenoten am Gaumen, die Mineralität ist gänzlich erblüht, Rauch, Malz und bodennahe Aromen, alles wirkt sehr balanciert, hoher Trinkfluss, gute Länge. Jetzt perfekt zu trinken, wird sich noch lange halten, aber nicht mehr verbessern.
93/100 (ausgezeichnet), jetzt bis 2020
Damit war das Hauptprogramm einer einmaligen Verkostung zu Ende. Ich danke dem Weingut für die Einladung und hoffe auf weitere Abende, wenn es heißt: Kirchenstück vertikal!