
Weinrallye 101: Herzenswein
Heute ist Weinrallye, mittlerweile schon in Ausgabe 101. Das Schöne an dem Thema »Herzenswein« ist, dass ich darüber nicht lange nachdenken muss. Ein Herzenswein ist für mich ein Wein, der mich lange begleitet, mit dem ich etwas besonders Persönliches verbinde und bei dem mir gängige Schönheitsideale eigentlich völlig wurscht sind. Ein Wein, bei dem ich nicht auf primäre äußerliche Merkmale starre, sondern einer, für den schon seit vielen Jahren aus tieferen Gründen mein Herz schlägt. Und bei diesem Wein war es lange nicht nur meins. Für diesen Wein schlug auch ein Herz, das entsetzlicherweise mittlerweile zu schlagen aufgehört hat. Ich kannte Mario Scheuermann nicht gut, bin ihm persönlich nie begegnet und habe mich mit ihm auf Facebook gerne über die FDP gestritten. Über den Chateau Maugey »Le Jean-Marc« entspannte sich aber zwischen uns eine kleine, aber herzliche E-Mail-Freundschaft, die jahrelang hielt.
Und das war so: In einem inzwischen irgendwo im Internet verloren gegangenen ZEIT-Artikel von Gero von Randow las ich von einem kleinen Bordeaux-Weingut, das kaum einer kennt und Weine produziert, die nicht aus dieser Zeit und ganz hervorragend sein sollten. Kurz darauf war ich mir sicher, von wem Gero von Randow diesen Tipp her haben musste, denn auf ein kleines Posting von mir im ebenso legendären und mittlerweile leider ebenfalls abhanden gekommenen Weinplus-Weinforum meldete sich eben Mario zu Wort, der ebenfalls für die ZEIT schrieb. Ganz ausführlich erzählte er mir dort alles, was ich über das Weingut wissen wollte und sollte. Und noch viel mehr.
Ich hatte gerade erst zum Wein gefunden, war als Weintrinker und erst recht Weinbloggender noch weniger als vorpubertär. Und es war mehr oder weniger das erste Mal, dass ich so gut informiert einen Wein verkosten durfte. Auch wenn ich davon damals noch nichts davon zu Papier bringen konnte, war es für mich ein Erweckungserlebnis und einer dieser Momente, durch die ich mein Herz an den Wein verlor.
Bei jeder Flasche, die ich den folgenden Jahren aufzog, teilte ich mit Mario die Erfahrungen, die wir seither mit Jean-Marc Maugeys Weinen gemacht hatten. Es wurde ein schönes Ritual. Die Idee, mal gemeinsam eine Vertikale im größeren Stil zu organisieren, gehört nun leider zu den Dingen, die für ewig im Status des Vorsatzes verharren werden. Denn nun ist es zu spät. Obwohl ich, wie gesagt, Dich nie persönlich kennenlernen durfte, kann ich nur sagen: Ich vermisse Dich, Mario! Deine intelligenten Texte, Deine Funken schlagende Begeisterung und Deinen Geschmack, von dem ich ganz viel gelernt habe. Ich hoffe, es geht Dir gut da oben, und dass die FDP dort immer die Fünf-Prozent-Hürde schafft!
Was hat es aber nun auf sich mit diesem Wein? Vor allem eines: Er ist herrlich unmodern. Das war er schon damals, das ist er auch heute. Chateau Maugey liegt zwar im Bordelais, aber weder am rechten noch am linken Ufer. Es liegt dazwischen, in Entres-deux-mers, dem ehemaligen großen Weißweinland zwischen Garonnes und Dordogne. Jean-Marc Maugey ist Bio-Winzer durch und durch, schon seit 40 Jahren setzt er darauf, früh fing er an mit Biodynamie. Sein Geld, dass er mit recht einfachen, aber dafür sauberen und schmackhaften Roten und Weißen verdient, gibt er in guten Jahren gleich wieder aus, um seine ganze Ambition in das Cuvée zu stecken, dem er seinen Namen gegeben hat, »Le Jean-Marc«. Der Wein ist Jean-Marcs Vision eines großen Bordeaux: Ganz betont unmodern, streng bereitet nach uralter Rezeptur, aus Merlot, Malbec und Cabernet Sauvignon. Die Weine werden auf den Stielen gepresst, drei Jahre in teure, neue Barriques gelegt, weder filtriert noch geschönt. Was dabei herauskommt, liest sich medioker: schwarze Kirschen, Pflaumennoten, Vanille, Port, reife Fruchtnoten, eine wahre Ladung an Tannin und gerne mal 14 Prozent Alkohol. Es sind üppige, dichte Weine, süß, füllig, rund. Und trotzdem, wenn man sie nur wenige Jahre reifen lässt, entwickeln sie eine Größe, die man ihnen so gar nicht zutrauen würde. Dann werden die Tannine weich, die offensiven Aromen verschwinden wie in einem Sog, der Wein wird duftig, nuanciert und wunderbar generös.
Mein Weinrallye- und Farewell-Wein für Mario Scheuermann heute ist leider nicht der 1999, der damals mein erster von dem Weingut war. Davon ist schon lange keine Flasche mehr übrig. Stattdessen kommt für mich zum ersten Mal der Jahrgang 2000 ins Glas, der auch auf Chateau Maugey einen guten Ruf hat. Mit 68 Prozent Merlot, 5 Prozent Malbec sowie 10 Prozent und 17 Prozent Cabernet Sauvignon aus zwei verschiedenen Lagen ist er für einen Maugey ungewöhnlich Cabernet-lastig ausgefallen. In der Nase ist er überraschend fein, den Wein kenne ich aus anderen Jahrgängen deutlich dunkler, dicker, konzentrierter. Hier aber ein filigraner Duft von roten und schwarzen Johannisbeeren, ganz feinduftig Pflaumen, dazu Kakao, eine elegante, sehr gut definierte Nase, keinerlei Reifetöne. Auch im Antrunk ist der Wein wunderbar elegant, viel mehr als ich es von ihm kenne. Die fein definierte Frucht ist voll präsent, dazu etwas Holz- und Extraktsüße, der Körper aber bleibt voll in der Mitte, eine Treffer ins Schwarze. Das alles ist ganz unerwartet ausgewogen, alles andere als üppig, völlig unaufdringlich, keine Spur von rustikal. Allmählich verstehe ich, was an diesem Maugey Jahrgang 2000 so außergewöhnlich seins soll. An Aromen jetzt eine schwarze Kirsche und noch mehr wieder von dieser wunderbar definierten Pflaumenfrucht. So ist das also, wenn die Merlot auf den Punkt gereift ist. So richtig öffnet sich der Wein aber erst dann, mit Minze, einer würzigen Cabernet-Note, wieder Kakao und dem salzigen und leicht süßen Tannin. Das ist alles so transparent, man schmeckt den Merlot, die Malbec, den Cabernet Sauvignon quasi heraus. Dazu kommt eine stimmige Säure und feinkörniges, aber noch nicht mürbes Tannin. Dieser Wein ist wahrlich abendfüllend und der beste, den ich bisher von Maugey getrunken habe. Eleganz zählt eben doch. Dass Jean-Marc Maugey das so hinbekommt mit seiner etwas mediokren Art Wein zu bereiten, freut mich umso mehr.
Ich hätte Mario dies alles gern geschrieben, denn dieser Wein hätte ihn ganz sicher stolz gemacht auf seinen Freund Jean-Marc. Jetzt breche ich alleine eine Lanze für ihn. Und werde es weiterhin tun. Ehrensache!
Aus dem Fachhandel, damals für gut 35 Euro, 92 Punkte
Leider ist der »Le Jean-Marc« heute sogar noch schwerer zu finden als früher. Sicher liegt das auch daran, dass Jean-Marc ihn von 2006 bis 2009 meines Wissens gar nicht mehr produziert hat – ob aus Kosten- oder Qualitätsgründen weiß ich nicht. Den Jahrgang 2010 bekommt man hier, zudem für relativ kleines Geld. Verkostet habe ich den Wein noch nicht, er soll allerdings laut Cellar Tracker etwas weniger Tannin haben als die älteren Jahrgänge.
Wer es weiter oben noch nicht entdeckt hat: Dieser Beitrag ist Teil der wunderbaren Weinrallye, Ausgabe 101. Vielen Dank an Peter Züllig sowie an Paul und Nico von Drunkenmonday, die die Rallye mit diesem schönen Thema organisiert haben.